Zusammenfassung – 9. Sitzung – 28. April 2017

0

Ungefähr zwischen dem 30. Januar 2000 und dem 30. Januar 2001 verübte eine „Nationale Bewegung“ (NaBe) in und um Potsdam rassistische und antisemitische Anschläge und Propagandadelikte. Bis heute sind die Taten nicht aufgeklärt. In der 9. Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses wurde erneut das zweifelhafte Verhalten des Verfassungsschutzes in diesem Zusammenhang deutlich. Ein neues Detail: Im Zuge der Ermittlungen wurde auch zu zwei neonazistischen Polizisten ermittelt. Einer der beiden ist heute Politiker der AfD in Brandenburg.

Es waren drei Zeug_innen geladen: der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg (Zusammenfassung 4. Sitzung), die Potsdamer Staatsanwältin Irene Stari und der jetzige Bundesanwalt Wolfgang Siegmund.

Ankündigung | Protokoll (wird ergänzt)

Zeugenaussage Erardo Rautenberg

Erardo Rautenberg bekräftigte seine Zweifel, ob die NaBe als feste Gruppierungen existiert habe und wies auf vier „Merkwürdigkeiten“ hin: 

Brandenburger Verfassungsschutz mischte sich ein
Laut Rautenberg war der Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam in der Nacht zum 08.01.2001, zu der sich die NaBe bekannte, aufgrund der Schwere der Tat und des Auffindens eines Bekennerschreiben, der Anlass, um die Generalbundesstaatsanwaltschaft (GBA) einzuschalten. Die GBA übernahm das Verfahren am 12.01.2011 und ermittelte wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung (§129a). Daraufhin soll sich der damalige Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Heiner Wegesin, eingeschaltet und die Übergabe des Falls an die GBA kritisiert haben. Die Übernahme sei „unnötig“ da von einer terroristischen Vereinigung „nicht die Rede“ sein könne. Die Aussagen stießen bei Rautenberg auf Unverständnis. Solch ein Behördenvorgehen sei ungewöhnlich und aufgrund der Taten auch sachlich unangemessen gewesen.

Die NaBe trat plötzlich nicht mehr in Erscheinung
Eine weitere Unregelmäßigkeit ergab sich für Rautenberg aus dem abrupten Ende der Anschlagsserie im Januar 2001. Aus der Sicht der Ermittler sei das suspekt. Erfahrungsgemäß würde „irgendwann einer reden“. Es sei unwahrscheinlich, „dass niemand das Schweigen bricht“ und die mögliche Auflösung der NaBe nicht kommentiert wurde. Ob der öffentliche Verfolgungsdruck in der Neonazi-Szene Eindruck hinterlassen habe, mochte Rautenberg nicht einschätzen.

Brandenburger Verfassungsschutz stellt Bekennerschreiben ins Internet
Etwa ein halbes Jahr nach der Übernahme durch die GBA entdecken die Ermittler, dass der Verfassungsschutz die Bekennerschreiben auf seine Webseite veröffentlicht hatte. Rautenberg sah dadurch die Ermittlungsarbeit gefährdet. Ein Fund von Bekennerschreiben bei einer Hausdurchsuchung hätte hohen Beweiswert gehabt, der durch die Veröffentlichung der Schreiben im Internet jedoch entwertet worden wäre.

Durchsuchungstermin wird bekannt
Und schließlich sah Rautenberg eine „Merkwürdigkeit“ darin, dass durch den Brandenburger Verfassungsschutz das Datum einer groß angelegten polizeilichen Razzia bei 19 Neonazis in Potsdam und Umland Anfang Februar 2001 bei einem V-Mann gelandet war. Die Polizei hatte die Durchsuchung deshalb vorterminiert. Dennoch konnten keine Beweise aufgefunden werden. Der . Brandenburger Verfassungsschutz-V-Mann Christian K.  erhielt am 06.02.2001 von seinem V-Mann-Führer die Information über die geplante Durchsuchungsaktion am 19.20.2001 und verriet das Datum an den Neonazi Sven Sch. Dies ging aus einer polizeilichen Telefonüberwachung hervor. Christian K. wurde später wegen Geheimnisverrats verurteilt, während es zu keiner Strafverfolgung seines V-Mann-Führers kam. (Später wird in der Sitzung bekannt, dass der besagte V-Mann ohnehin nicht durchsucht werden sollte.)

Zeugenaussage Irene Stari

Als wenig erkenntnisreich erwies sich die Aussage der Potsdamer Staatsanwältin Irene Stari. Sie führte anfangs die Ermittlungen wegen des Brandanschlags auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs bis zu der Übernahme des Verfahrens durch die GBA. Sie konnte vor dem Ausschuss wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Erinnerungslücken keinerlei brauchbare Angaben machen.

Zeugenaussage Wolfgang Siegmund

Deutlich mehr Aussagekraft besaß die Zeugenaussage des Bundesanwaltes Wolfgang Siegmund. Er führte die Ermittlungen der GBA zur NaBe, führte diese jedoch nicht bis zum Ende. Siegmund stützte Rautenbergs These, wonach es sich bei der NaBe nicht um eine feste Gruppierung gehandelt haben könnte, sondern eine Fremdzuschreibung zu einzelnen Taten. Hierzu verliehen zwei weitere Auffälligkeiten der These an Gewicht:

Unterschiedliche Bekennerschreiben
Die Bekennerschreiben besaßen keine Einheitlichkeit, weder in dem Schriftbild, noch in den Umfang. Ein Schreiben, was Adolf Hitler „alles Gute zum Geburtstag im Himmel“ gewünscht hatte, kam den der GBA suspekt bis „lächerlich“ vor.

Bekennerschreiben womöglich nachträglich beigefügt
Bei einem Anschlag auf einen türkischen Imbiss in Trebbin scheint ein Bekennerschreiben der NaBe nachträglich platziert worden zu sein. Nachdem die Ermittler zunächst kein Bekennerschreiben vor Ort fanden, informierte ein Passant die Polizei über einen Fund von einer Geldkassette im Schutt. In der Geldkassette befand sich ein gut erhaltenes Bekennerschreiben. Der Umstand, dass weder Geldkassette noch Bekennerschreiben Brandspuren aufwiesen, machte die GBA stutzig.

Verfassungsschutz störte Ermittlungen
Siegmund stellte klar, dass der Verfassungsschutz die Ermittlungsarbeit gestört habe, in dem er Handlungen vornahm, die nicht förderlich waren. Trotz alledem wollte er dem Verfassungsschutz nicht unterstellen, die Ermittlungen vorsätzlich behindert zu haben.

Als der Verfassungsschutz die Bekennerschreiben auf seiner Homepage veröffentlichte, bat Siegmund erfolglos darum, die Schriftstücke von der Seite zu nehmen. Der Verfassungsschutz rechtfertigte die Veröffentlichung damit, dass die Bekennerschreiben teilweise ohnehin zuvor durch die Presse und Polizei öffentlich gemacht worden sei. Aus Siegmunds Sicht war dies unverständlich.

Generell war die Zusammenarbeit mit dem Brandenburger Verfassungsschutz von Unstimmigkeiten begleitet. Die GBA hatte zwei Personen als Tatverdächtige ins Visier gefasst, die in Absprache mit dem LKA explizit nicht bei der geplanten Razzia im Februar 2001 durchsucht werden sollten. Dass der Verfassungsschutz den Termin an den V-Mann Christian K. weitergab, beurteilte Siegmund als einen Fehler. Die Polizeirazzia sei als allgemeine Maßnahme geplant gewesen und habe nicht in direktem Zusammenhang mit den NaBe-Ermittlungen gestanden, erklärte Siegmund. Die Razzia in just dem Neonazimilieu, in dem er ermittelte, habe er darum nicht als Einmischung in seine Arbeit empfunden.

Wer war verdächtig?
Im Zuge des Verfahrens gab der Brandenburger Verfassungsschutz zudem eine Behördenerklärung ab über einen möglichen Täter, einen „Herrn Klein“. Jedoch konnten keine Anhaltspunkte für eine Täterschaft nachgewiesen werden, zumindest bewahrheitete sich die vom Verfassungsschutz als „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ bewertete Täterschaft von Klein nicht. Als einen weiteren möglichen Täter führte Siegmund einen „Herrn Jung“ an. Dieser hatte Kontakt zu einer Frau aus Niedersachsen, bei der die Überlegung im Raum stand, ob sie die Urheberin der Bekennerschreiben gewesen sein könnte. Ihre Wohnung wurde im Zuge der Ermittlungen durchsucht. Dabei sichergestellte Datenträger konnten damals nicht entschlüsselt werden.

Neonazi beschwerte sich betrunken bei GBA / Neonazi-Polizist ist heute AfD-Funktionär
Am Rande der Befragung Siegmunds wurden zwei weitere Details bekannt.

Einmal: Ein in den NaBe-Ermittlungen verdächtige Neonazi habe bei einer privaten Telefonummer eines Generalbundesanwalt nachts und offenkundig betrunken angerufen und sich über eine anstehende DNA-Probenabgabe beschwert. Es erscheint rätselhaft, woher der Neonazi diese Telefonummer gehabt haben könnte. Und – zum Zeitpunkt seines Anrufs hätte der Neonazi von der DNA-Abgabeaufforderung eigentlich nichts wissen können, weil der Aufforderungsbrief an ihn noch gar nicht abgeschickt worden war.

Zweitens: Im NaBe-Verfahren habe es auch Ermittlungen zu zwei Polizei-Beamten gegeben, die selbst aktive Neonazis waren. An einen der beiden Beamten erinnerte sich Siegmund – es habe sich um Stefan Broschell gehandelt, der bei einer Vernehmung keinen Hehl aus seiner rechten Gesinnung gemacht habe.  Der neonazistische Polizist Stefan Broschell ist heute Beisitzer im Kreisvorstand der AfD Teltow-Fläming.

Nach einer Fragerunde der Abgeordneten wird die Sitzung beendet. Die nächste Sitzung des Ausschusses findet am 02. Juni 2017 statt.

Drucken & PDF

Comments are closed.