Zusammenfassung – 30. Sitzung – 23. August 2018

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Zusammenfassung – 30. Sitzung – 23. August 2018

In der 30. Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses am 23. August ging es im weitesten Sinne um den Informationsfluss zwischen Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaft, der Polizei und der neonazistischen Szene.

Als Zeug*innen geladen waren:

  1. Rolf Junge, von 1999 bis 2001 Leiter der Abteilung Staatsschutz im Landeskriminalamt (LKA) (anwesend mit juristischem Beistand RA Butz Peters),
  2. Peter Petersen, seit 1994 Staatsanwalt, von 2000 bis 2006 in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft Potsdam,
  3. Mareen Laggies, seit 1991 Staatsanwältin, von 1992 bis 1998 in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft Potsdam.

Die Abgeordneten beschäftigten sich in der Sitzung mit den Fragen, ob der Verfassungsschutz Einfluss auf polizeiliche Maßnahmen oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungen genommen hat, inwiefern Geheimnisverrat verfolgt wurde sowie weiteren Fragen rund um das Verhältnis von Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft. Dabei spielte unter anderem die Enttarnung des Neonazis und Verfassungsschutz-Informanten Carsten Szczepanski, die Ermittlungen wegen illegalen Waffenbesitzes und die Sonderkommission zur Aufklärung der Anschlagsserie der Nationalen Bewegung (NaBe) eine Rolle. Die Antworten auf die aufgeworfenen Fragen bleiben im Bereich der Mutmaßungen. Neue Erkenntnisse blieben aus.

Einfluss des Verfassungsschutzes auf das LKA

Hoffnungsvoll startete die Sitzung mit der Vernehmung des Ex-Staatsschützers Rolf Junge. Ausführlich berichtete er von seinem persönlichen und beruflichen Werdegang: Nach einer misslungenen Sportkarriere studierte er Kriminalistik und kam noch in der DDR zum Kriminaltechnischen Institut. Nach der „Wende“ machte er Karriere beim LKA. In Vorbereitung seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss habe er alte Akten studiert, um seine Erinnerung aufzufrischen. Doch, so gesteht er gleich zu Beginn, habe er kaum eigene Erinnerungen an seine Zeit als Abteilungsleiter des Staatsschutzes. Es sei für ihn „nicht die aufregendste Zeit“ und auch sein Ausscheiden „nicht ganz nach meinen Vorstellungen“ gewesen.

Von Junge wollten die Abgeordneten wissen, inwiefern eine Einflussnahme des Verfassungsschutzes auf das LKA erfolgte. Ein Fax aus dem Jahr 2000, das bereits zuvor im Ausschuss thematisiert wurde, lege das nahe: Darin hatte Verfassungsschutz-Mitarbeiter Milbradt das LKA gebeten, auf polizeiliche Maßnahmen gegen die Neonaziszene um Carsten Szczepanski in Königs Wusterhausen zu verzichten. Dem Verfassungsschutz-Fax ging ein Fax von Junge voraus, in dem er den Verfassungsschutz nach überschneidenden bzw. kollidierenden Maßnahmen zwischen Verfassungsschutz und LKA im Zusammenhang mit Szczepanski befragt. Das LKA ermittelte gegen ihn wegen Herstellung und Verbreitung des Naziheftes United Skins. Verwunderlich an diesem Fax ist zum einen: Junge will erst nach Szczepanskis Enttarnung von dessen Spitzeltätigkeit gewusst haben. Offensichtlich wurde aber der Name Szczepanski als Verfassungsschutz-Quelle schon länger offen zwischen Verfassungsschutz und LKA kommuniziert. Zum anderen stellt sich die Frage, ob das LKA schon aus vorauseilender Gehorsam zum Schutz des V-Mannes beim Verfassungsschutz nachfragte. Später gibt Junge in einem anderen Zusammenhang zu verstehen: „Wir befürchteten, dass wir nicht die Einzigen sind, die da ein Auge darauf gehabt hatten.“ Letztlich verzichte das LKA auf Maßnahmen. In einem handschriftlichen Vermerk hieß es unter dem Fax: „Einsatz entfällt“.

Ob der Verfassungsschutz auch im Zusammenhang mit dem Geheimnisverrat von Christian Körner im NaBe-Verfahren auf das LKA einwirkte, bleibt ebenfalls eine Mutmaßung. Zur Erinnerung: Der Verfassungsschutz-Spitzel Körner hatte dem Polizeiinformanten Sven Schneider bevorstehende Durchsuchungsmaßnahmen in der Neonaziszene verraten, sodass bei der Razzia nichts Einschlägiges zu finden war. Warum Junge den Geheimnisverrat nicht selbst bei der Staatsanwaltschaft anzeigte, wollte Grünen-Abgeordnete Nonnemacher wissen und ob die Staatsanwaltschaft nicht informiert wurde, weil der Verfassungsschutz involviert war. Junge schließt das nicht aus, kann sich allerdings nicht erinnern. Auch bei der eigens eingerichteten NaBe-Sonderkommision des LKAs spielte der Geheimnisverrat eine Rolle. Hier saß der Verfassungsschutz direkt mit am Tisch.

Nach Auffassung von Junge habe es kein gutes Verhältnis zwischen den Behörden gegeben. Er selbst hatte das Bedürfnis nach gemeinsamen Austausch, für den Verfassungsschutz schien es ihm jedoch eher eine „Einbahnstraße“ zu sein. Laut Junge gab der Verfassungsschutz selbst kaum und teilweise völlig falsche Informationen weiter.

Auf Kriegsfuß mit dem Verfassungsschutz

Als zweiter Zeuge wurde der langjährige Potsdamer Staatsanwalt Peter Petersen vernommen, der vor allem Anfang der 2000er Jahre gegen die Neonaziszene in Potsdam vorging. Für den Ausschuss waren dabei insbesondere die Ermittlungen gegen die Neonazis Uwe Menzel, Christian Wenndorf und Tino Wiesner relevant. In diesem Zusammenhang habe Petersen auch gegen den Spitzel Szczepanski ermittelt, der zur selben Zeit enttarnt wurde. Ausführlich beschrieb er, wie das LKA von Plänen der Neonazis Uwe Menzel und Dirk Horn erfuhr, eine linke Demonstration zu „einem Blutbad“ zu machen, den Waffenfund in Menzels Wohnung und der Suche nach einer weiteren Waffe – eine Maschinenpistole, die auf einem Foto zu sehen war. Menzel lieferte die Maschinenpistole nachdem er bei einer Polizeivernehmung unter Druck gesetzt wurde. Die Polizei habe in Absprache mit Petersen gedroht, die Neonaziszene auseinanderzunehmen. Menzel gab in seiner Vernehmung vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Juni an, er wollte dies seinen Kameraden ersparen. Über Szczepanski sei Menzel an ein Kleinkalibergewehr gekommen. Nicht nur durch den V-Mann war der Verfassungsschutz in den Waffendeal involviert, der Geheimdienst mischte sich auch in die staatsanwaltlichen Ermittlungen ein. Nach Anweisung von Petersen sollten die drei festgenommenen Neonazis Menzel, Wenndorf und Wiesner nach ihrer Vernehmung freigelassen werden. Jedoch kam nur Menzel sofort auf freien Fuß. Offenbar hatte sich der Verfassungsschutz – genauer gesagt dessen Leiter Herr Förster – eingemischt. Petersen war empört und kurz davor, ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung einzuleiten. Man habe dann „nach energischen Bemühungen [….] [s]einer Weisung nachgegeben“ und die beiden anderen Neonazis entlassen.

Ob es öfter vorgekommen sei, dass der Verfassungsschutz interveniert habe, wollte die CDU wissen. Petersen verdeutlicht energisch: „Nein, nie. Das war eine einmalige Entgleisung.“ Er war sicher: „Wir lassen uns vom Verfassungsschutz nicht sagen, was wir zu machen haben.“ Auch an anderer Stelle bestärkt Petersen seine Abgrenzung gegenüber den „Trenchcoatmenschen“. Zu unterschiedlich seien die Arbeitsweisen gewesen. Die Kommunikation habe nicht funktioniert, die Informationen taugten nicht viel und überhaupt sei „immer alles geheim“.

Linken-Obmann Volkmar Schöneburg machte es aufgrund dessen Verbindung zum NSU-Umfeld nachdenklich, dass bei Menzel eine Ceska 53 gefunden wurde. Nach aktuellem Stand habe er diese kurz zuvor in Mecklenburg-Vorpommern besorgt. Auf den Vorhalt, in dem Menzel sagt: „Die andere Sache ist momentan das Problem. Die, die dafür in Frage kommen, haben so ein paar Sachen am Laufen, richtig wilde Sachen. Das ist denen momentan zu heiß“, antwortet Peterson, dass die Ermittlungen soweit er wisse nichts ergeben hätten. „Vielleicht wurde da aber auch nicht intensiv genug ermittelt“. In Bezug auf Nick Greger, Neonazi-, V-Mann und Weggefährte von Szczepanski, erzählt Petersen von dessen Plänen, eine Synagoge in Dresden in die Luft zu sprengen. Hierfür hatte er bereits eine Rohrbombe gebaut.

Keine Erinnerung

Die Zeugin Mareen Laggies, Staatsanwältin in Potsdam, konnte nicht weiter zum Erkenntnisgewinn der Sitzung beitragen. An ihre Arbeit von 1992 bis 1998 in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft, in der auch das Dolgenbrodt-Verfahren 1995 fiel, könne sie sich nicht mehr erinnern. Als Zeugin war sie geladen, da Rechtsanwalt Christoph Kliesing in seiner Vernehmung im Januar auf sie verwiesen hatte. Laggies habe laut Kliesing von 1992 bis 1994 die presserechtlichen Ermittlungen zu den Naziheften „Feuerkreuz“ und „United Skins“ verschleppt. Sie habe die Verfahren so lange liegen lassen, bis die Verjährung eingetreten sei. Laggies gab an, zuständig gewesen zu sein, aber keine Erinnerung an diese Verfahren zu haben. Auch an andere Ermittlungen gegen Szczepanski oder an das Dolgenbrodt-Verfahren, in dem sie als Zeugin gehört wurde, konnte sie sich nicht erinnern. Dazu gehörte auch eine Anzeige des ehemaligen JVA-Häftlings Jürgen B., der im Juni gehört wurde, wegen der Verbreitung des Weißen Wolfes in der JVA. Was daraus geworden ist, wisse sie nicht.

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