Dossier: Christian Kö.

0

Christian Kö. ist ein aus Damsdorf (Potsdam-Mittelmark) stammender Neonazi, der von 1998 bis Ende 2002 für den brandenburgischen Verfassungsschutz arbeitete. Im Februar 2001 warnte er einen anderen Neonazi vor einer anstehenden Polizeirazzia. Über die Razzia war er zuvor gezielt vom Verfassungsschutz informiert worden.

Kö. ist Presseberichten zufolge schon seit Jugendjahren ein überzeugter Neonazi. Kurz nach seiner Entlassung aus der Bundeswehr wird der gelernte Baumaschinenfahrer im Jahr 1998 durch den brandenburgischen Verfassungsschutz angeworben, um dem Geheimdienst aus der Rechtsrockszene zu berichten.

Um Informationen, die der Verfassungsschutz seinem Spitzel offenbar gezielt zuspielte, entspannt sich Anfang der 2000er Jahre ein Verfassungsschutzskandal.

Schon im Jahr 2000, so Kö. später gegenüber der Presse, wird er von seinem V-Mann-Führer vorab über die bundesweite Razzia gegen Blood & Honour informiert. Mit der Durchsuchungsaktion wird am 14. September 2000 das deutschlandweite Verbot dieser Neonaziorganisation vollstreckt.

Anfang Februar 2001 wird Kö. von seinem V-Mann-Führer mit dem Decknamen „Max“ erneut über eine bevorstehende Razzia in Kenntnis gesetzt. Die Polizei plane am 17. Februar eine Durchsuchungsaktion gegen mutmaßliche Mitglieder der für zahlreiche Anschläge verantwortlichen Nationalen Bewegung. Ein leitender Beamter des Verfassungsschutzes hatte zuvor den ihm unterstellten V-Mann-Führer aufgefordert, genau diese Information an Kö. weiterzugeben, sagt später der V-Mann-Führer “Max”.

Am 6. Februar 2001 telefoniert Kö. darum mit dem Neonazi Sven Schneider aus Borkwalde, dem einstigen Anführer der mittlerweile verbotenen Blood & Honour Sektion Brandenburg. Im Telefonat gibt der V-Mann die Razzienwarnung erwartungsgemäß weiter.

Schon seit Anfang 2000, berichtet K. später, habe er „verbotenes Zeug“, das Schneider gehörte, in seinem Keller „gebunkert“. Drei bis vier Kisten mit verbotenen CDs von Bands wie Macht & Ehre und Landser sowie T-Shirts sollten bei Durchsuchungen von Schneiders Wohnung nicht gefunden werden. Sein V-Mann-Führer, sagt Spitzel K., habe dies gewusst, und dies sei auch der Grund für den Warnanruf gewesen: „Ich sollte Schneider irgendwie begreiflich machen, dass er das Zeug rausholen sollte“, beschreibt Kö. den Auftrag.

Allerdings: Der Warnanruf wird von einer anderen Behörde, nämlich vom Landeskriminalamt, abgehört – nur so erfährt die Polizei, dass ihre Durchsuchungspläne in der Neonaziszene bekannt sind. Die Razzia wird eilig auf den 7. Februar vorgezogen. In den Wohnungen von 19 Neonazis werden nur szenetypische Utensilien entdeckt. Beweise gegen die Nationale Bewegung können nicht sichergestellt werden. Die Gruppe tritt nach dieser Razzia nie wieder in Erscheinung. Der von Kö. gewarnte Neonazi Sven Schneider soll indes – wenn man Vorwürfen aus der Neonaziszene Glauben schenkt – selbst ein Spitzel sein, und zwar in Diensten des Landeskriminalamtes. Von den Behörden wird dies abgestritten.

Um nach der verratenen Razzia den Verdacht von sich abzulenken, so Kö. gegenüber der Märkischen Allgemeinen Zeitung, habe sein V-Mann-Führer „Max“ sich „eine Geschichte ausgedacht“. Kö. solle behaupten, er hätte in der Borkwalder Gaststätte „Pipi Langstrumpf“ zufällig ein Telefonat eines Polizisten belauscht, in dem die Durchsuchung am 17. Februar erwähnt worden wäre. „Das sollte ich erzählen, sagte der V-Mann-Führer, damit er keinen auf den Deckel kriegt“, erklärt Kö..

Nach diesem Vorfall wird Kö. noch 18 Monate lang als V-Mann des Verfassungsschutzes weitergeführt. Erst Ende 2002 wird er „abgeschaltet“. Kurz vorher habe Kö. die Episode einem anderen V-Mann-Führer mit Tarnnamen „Dirk“ erzählt. Unklar ist, in welchem Umfang dies anschließend in der Behörde bekannt wurde.

Während seiner Zeit als V-Mann sei Kö. häufig in einem italienischen Restaurant in Werder großzügig auf Verfassungsschutzkosten bewirtet worden, berichtet er später. Außerdem habe der Verfassungsschutz, sagt Kö., gut gezahlt: Beträge von „300 Mark und mehr“ seien die Regel gewesen.

Im Jahr 2003 berichtet der damals 27-jährige Kö. gegenüber verschiedenen Medien über die Praktiken des Brandenburger Verfassungsschutzes. Die Geschichte wird erstmals durch einen Bericht der Märkischen Allgemeinen im Mai öffentlich. Die Kontroverse um die verratene Razzia wird im Brandenburger Landtag geführt. In einem Bericht heißt es, dass nicht auszuschließen sei, dass der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags, die den Verfassungsschutz überwachen soll, vom Verfassungsschutz Unwahrheiten mitgeteilt wurden – wissentlich, fahrlässig oder zufällig. Aus der Parlamentarischen Kontrollkommission wird zunächst der damalige Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin kritisiert, nach einer Sondersitzung am 20. Mai jedoch erklärt, dass es keinen V-Mann-Skandal gebe, da die gegen die Nationale Bewegung ermittelnde Bundesanwaltschaft über den Razzienverrat informiert gewesen wäre. CDU-Innenminister Jörg Schönbohm bestreitet ebenfalls, dass es einen solchen Skandal gebe. Auch die Polizei und die Bundesanwaltschaft werden zeitweise kritisiert. Brandenburgs Generalstaatsanwalt etwa hält dem Landeskriminalamt vor, es unterlassen zu haben, die Staatsanwaltschaft über den Verrat in einem gesonderten Vorgang zu unterrichten.

Der Sprecher des Potsdamer Innenministeriums, Heiko Homburg, bezeichnet die erhobenen Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz als „nicht überprüfbare Behauptungen dubiosen Ursprungs“. Von den fraglichen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, so Homburg, lägen Erklärungen vor, die den erhobenen Vorwürfen widersprächen.

Im September 2003 wird Christian Kö. wegen Geheimnisverrats zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Weitere Informationen:

“V-Mann-Affäre: Schönbohm unter Druck” in Potsdamer Neueste Nachrichten; 1. Oktober 2003
http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/104209/

“Ex-Spitzel Christian K. berichtet über VS-Praktiken” bei Inforiot; 6. Juni 2003
http://www.inforiot.de/ex-spitzel-christian-k-berichtet-ueber-vs-praktiken/

“Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Potsdam gegen ehemaligen V-Mann” bei Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, 28. August 2003
http://www.gsta.brandenburg.de/sixcms/detail.php?id=214284&template=seite_gsbb_1

“»Deliktserie« oder Vorstufe zum Rechtsterrorismus?” in Antifaschistisches Infoblatt; AIB 93 / 4.2011 | 03.12.2011
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/%C2%BBdeliktserie%C2%AB-oder-vorstufe-zum-rechtsterrorismus

Drucken & PDF

Comments are closed.