Zusammenfassung – 20. Sitzung – 23. Februar 2018

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Am 23. Februar 2018 befasste sich der Untersuchungsausschuss erneut mit den Haftbedingungen und der vorzeitigen Entlassung des Neonazi-V-Manns Carsten Szczepanski. Im Fokus in der Vernehmung der Zeug*innen stand die Produktion von Skinzines während des Vollzugs in der JVA Brandenburg, dem Freigang während seiner Haftzeit sowie den möglichen Einfluss des Verfassungsschutzes auf den Vollzug der Freiheitsstrafe. Die kruden Umstände von Szczepanskis vorzeitiger Haftentlassung nach der Verbüßung einer Zweidrittelstrafe wurden erst im Laufe dieser Sitzung ans Licht befördert.

Geladen waren:
1. Rolf Sternberg, Staatsanwalt a.D., 18. Sitzung entschuldigt
2. Kurt Eggebrecht, ehemaliger JVA-Leiter geschlossener Vollzug, 19. Sitzung ohne Erinnerung.
3. Bernd Richardt, JVA-Leiter offener Vollzug 1992 bis 1995. Danach Ministerialrat im Justizministerium
4. Sozialarbeiter A.
5. Sozialarbeiterin A. R.
6. Ingrid Vogt, ehemalige Sozialarbeiterin in der JVA Brandenburg/Havel
7. Dr. Ute Charlotte Lohmann- Fürstenberg, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie,
8. Jörn Sanftleben, Richter an der Strafvollstreckungskammer Brandenburg/Havel
9. Dr. Ulrich Wendt, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt des Landes Brandenburg.
10. Astrid Ingendey-Herrmann, damals Einzelrichterin an der Strafvollstreckungskammer, heute Oberstaatsanwältin

Ermittlungen gegen Szczepanski: Kein Gespür für strafrechtliche Relevanz
Der Untersuchungsausschuss startete mit drei sehr kurzen Befragungen. Als erstes wurde der pensionierte Staatsanwalt Rolf Sternberg gehört. Dieser hatte im Jahr 1995 die Anklageerhebung gegen Carsten Szczepanski im Fall unerlaubten Sprengstoffbesitzes und der Verbreitung von verfassungsfeindlichen Neonazischriften nach einer Durchsuchung seiner Wohnung in KW am 22. Februar 1992 geprüft. Ihm sei der Name damals durchaus bekannt gewesen, auch jetzt hätte er sofort gewusst, um wen es sich handele, da Szcepanski eine „Größe in der Skinheadszene“ gewesen sei. Seine Erinnerungen seien dennoch lückenhaft und die Relevanz des Sprengstofffundes hätte sich ihm auch damals nicht erschlossen – das Verfahren über den Mordversuch an Steve Erenhi in Wendisch-Rietz sei aber bekannt und anhängig gewesen. Nachdem die Grüne MdL Nonnemacher Sternberg darauf hinwies, dass mit den gleichen Substanzen das Murrah Federal Building in Oklahoma City am 19. April 1995 gesprengt wurde und 168 Tote zu beklagen seien (Oklahoma City Bombing), stimmte er zwar zu, wies aber auf die geringen Mengen bei der Hausdurchsuchung hin. Verwundert habe ihn, dass sich das Ministerium eingeschaltete und Szczepanski für seine Propaganda-Delikte angeklagt sehen wollte – diese seien jedoch bereits verjährt gewesen. Auch die beiden folgenden Zeug*innen Sozialarbeiter*innen A. und R. hatten keine Erinnerungen mehr und wussten nur zu berichten, dass Szczepanski eine Einzelzelle hatte.

JVA-Leiter Kurt Eggebrecht: Schlüsselfigur in Szczepanskis Haft
Bedeutend aufschlussreicher war die Befragung der JVA-Mitarbeiter*inen Eggebrecht, Richardt und Vogt. Eggebrecht war während der Haftzeit Szczepanskis Leiter des geschlossenen Vollzugs der JVA Brandenburg. In der vorherigen Sitzung im Januar hatte er mit Erinnerungslücken geglänzt und wurde nun von Neuem befragt. Diesmal zeigte er sich etwas informierter über seine eigene Tätigkeit in der JVA. So hatte er teilgenommen an einer Besprechung mit Gordian Meyer-Plath, VS-Mitarbeiter R. Görlitz alias Sozialarbeiter „Hermann-Dieter Borchardt“ und einem dritten, ebenfalls als Sozialarbeiter legendierten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Eggebrecht stellte klar, dass er es nicht so gern gesehen habe, dass der VS sich in den Strafvollzug eingemischt hätte. Zäh zeigte er sich abermals darin, sich an konkrete Gegebenheiten zu erinnern. Die Postkontrolle habe ein von ihm zugeteilter Mitarbeiter übernommen, und Gegenstände oder Unterlagen hätte der VS dem Gefangenen nicht mit ins Gefängnis geben können. Dies widerspricht aber den Darstellungen von Szczepanski selbst und den VS-Vermerken. Die Grüne MdL Nonnemacher machte Eggebrecht schließlich Vorhalte, nach denen seine Schlüsselrolle für den Einfluss des VS auf Szczepanskis Haft deutlich wurde. Demnach konnte nur er derjenige gewesen sein, der Pakete und Briefe zwischen VS und Szczepanski austauschte. An die 41 dokumentierten Treffen zwischen VS und Szczepanski zwischen 1995 und 1997 konnte Eggebrecht sich ebensoweng erinnern wie an Funde der Skinzines „Weißer Wolf“ und „Skins United“ und auch nicht an einen Sozialarbeiter mit dem Namen Wolf Eggbert-Schulze. Dieser könnte ein weiterer legendierter VS-Mitarbeiter gewesen sein. Eggebrecht leugnete ebenfalls, dass die Skinzines in der Haftdruckerei produziert worden seien. Seine insgesamt unglaubwürdigen Aussagen führten dazu, dass er vom Untersuchungsausschuss für seine Zeugenaussage vereidigt wurde.

Einfluss vom Verfassungsschutz im Knast und eine unausgelesene Festplatte

Der Zeuge Bernd Richardt war 1992-1995 Leiter der JVA Brandenburg im offenen Vollzug und danach Ministerialrat im Justizministerium. Seine Haltung zu dem Komplex Carsten Szczepanski lässt sich mit seinen eigenen Worten zusammenfassen: „Mir ist nichts erinnerlich, außer, dass der VS versuchte, das Feld zu bestellen.“ Gleichzeitig vermutete er, dass sowohl Insassen als auch Mitarbeiter*innen etwas geahnt haben oder wussten, denn „nichts ist so transparent wie ein Knast.“. Recht sei es ihm nicht gewesen, dass der Geheimdienst die JVA beeinflussen wollte, er sorgte sich aufgrund von Erfahrungen vieler Insassen mit der Stasi um das Wohl des Häftlings. An die vielzähligen VS-Besuche erinnerte er sich nicht wirklich, aber auffällig für alle war, das Szczepanski „mehr Besuche als üblich“ bekam. Die besuchenden Neonazis Michael und Antje Probst und Thomas Starke waren ihm dagegen namentlich nicht bekannt. Richardt bestätigte außerdem, dass ein instruierter Mitarbeiter der JVA selbst für die Postvermittlung zwischen VS und Szczepanski zuständig war.
In der Frage, ob Skinzines in der JVA produziert wurden, glänzte Richardt mit einem eklatanten Mangel an Aufklärungswille. So erklärte er, dass das Innenministerium und der VS Ende 1996 nach einer Anfrage der Presse an das Ministerium ausgeschlossen hätten, dass der „Wehrpass“ oder der „Weisse Wolf“ in der Anstaltsdruckerei produziert worden wären. Außerdem habe ein EDV-Experte geurteilt: „Das Absuchen der Festplatten würde Tage dauern“. Damit sei für den Zeugen die Sache erledigt gewesen.

Immer wieder: Das nicht erinnerliche Praktikum
Ingrid Vogt, die Sozialarbeiterin im offenen Vollzug, war, konnte sich an Carsten Szczepanski erinnern und beschrieb ihn als unauffällig. Die Geschichte über dessen Praktikum, dass er im Laden „Sonnentanz“ in Limbach-Oberfrohna von Antje und Michael Probst absolviert haben soll und mehr als 440 Kilometer am Tag hätte fahren müssen, wurde erneut ad absurdum geführt. Vogt, für Arbeitsvermittlung und Eingliederung zuständig, war das eine neue Information. Sie konnte sich nicht erinnern, etwas unterschrieben zu haben, den Arbeitsvertrag aufgesetzt zu haben oder den Arbeitsplatz besucht zu haben. Für solch ein Praktikum – die es in der Form nach ihrer Aussage gar nicht gab in den 1990ern – hätte der Gefangene in eine JVA in der Nähe des Arbeitsplatzes verlegt werden müssen. Da er abends wieder in der JVA antreten musste, „konnten wir dem gar nicht zustimmen“. Dass ihr Vorgesetzter Kurt Eggebrecht den Praktikumsvertrag unterschrieben hätte, und sie selbst der Richterin Ingedey-Herrmann positiv von Szczepanski berichtet hätte, war ihr nicht mehr erinnerlich.

Erlogener Entlassungsgrund „Distanzierung von der Rechten Szene“
Im letzten Abschnitt des Tages wandte sich der Untersuchungsausschuss der vorzeitigen Entlassung Szczepanksis zu. Der Richter Jörn Sanftleben, der in der Strafvollstreckungskammer Brandenburg/Havel tätig war, berichtete, dass 1998 die Voraussetzungen für eine Halbstrafe nicht vorgelegen hätten, auch wenn sich Szczepanski nach eigener Beschreibung begonnen hätte, von der rechten Szene zu lösen. Sanftleben habe keinen Kontakt zum VS gehabt und auch erst später aus den Medien über Piattos Tätigkeit für den VS erfahren. Bis dahin habe er nur einmal mit einem V-Mann zu tun gehabt, dass sei 2002/2003 im Fall Christian Körners gewesen.

Anschließend wurden die beiden Gutachter*innen Ulrich Wendt und Ute Charlotte Lohmann- Fürstenberg verhört. Die Aussagen der Nervenärztin Lohmann- Fürstenberg wurden dem Unterschied zwischen ideologisch gefestigten Gewalttäter*innen und anderen Inhaftierten nicht gerecht: Sie zog den äußerst schwierigen Vergleich mit Gewalttätern im Erwachsenenalter, die als Kinder missbraucht worden und Szczepanski, der als junger Mann aus Überzeugung den Mord von Steve Erenhi gewollt hatte. Weder sie noch ihr Mentor Ulrich Wendt, ebenfalls Facharzt für Psychiatrie und Psychologie des Landes Brandenburg, hatten die Gefangenenpersonalakte eingesehen. Aus deren Lektüre hätten sie Kenntnis über die Funde von Nazi-Propaganda und der Anzeige wegen Erpressung während der Haft erlangt. Ihr Befund mit einer guten Sozialprognose fußte allein auf der persönlichen Befragung des Inhaftierten und damit den Angaben des Probanden selbst – „er verabscheue Gewalt“ – und dem Inhalt des Vollstreckungsheftes der JVA, nachdem er sich gut geführt habe. Wendt betonte noch einmal, dass Szczepanski nicht als psychologisch auffällig beschrieben werden konnte und das zwar dünne Gutachten medizinisch zu einem rechtmäßigen Urteil gekommen sei. Die Linke bezeichnete das zynisch als „Gefangenenbefreiung“.
Die Richterin Astrid Ingendey-Herrmann musste in 1999 über die Entlassung nach Zweidrittel der Haftstrafe befinden. Sie ordnete ein psychologisches Gutachten an, um aufgrund der Schwere der Strafe eine Prognose gestellt zu bekommen. Bei der Vernehmung zeigte sie sich offen geschockt über die Umstände des Praktikums und der deutlich exponierten Position Szczepanskis in der rechten Szene auch nach seiner Entlassung. Ingendey-Herrmann äußerte entsetzt: „Das sagen sie mir jetzt. Das muss die JVA oder Staatsanwaltschaft mir zutragen.“

Ein Lehrstück: Verfassungsschutz und Rechtsstaat
Die Vermutungen und Erkenntnisse der letzten zwei Sitzungen haben sich bestätigt: An dem V-Mann Carsten Szczepanski lässt sich beispielhaft der gefährliche Einfluss des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit V-Leuten erkennen, hier auf den Vollzug einer Freiheitsstrafe und auch die Entlassung. Szczepanski wurde in der Haft mit Vorteilen bedacht und konnte auch währenddessen seine Stellung in der neonazistischen Szene unter anderem durch den erfolgreichen Vertrieb seiner Skinzines festigen. Gravierend ist wohl die Erkenntnis, dass er unter Vortäuschung falscher Gegebenheiten früher entlassen wurde: wäre der zuständigen Richterin bekannt gewesen, dass er für Neonazis arbeitete, wäre er gar nicht erst freigekommen. Und: Sein Posten in der NPD wie auch seine Tätigkeit für die Probsts verstießen gegen die Auflagen bei der vorzeitigen Haftentlassung. Wenn dies der Justiz bekannt geworden wäre, hätte Szczepanski den rest seiner Haftstrafe verbüßen müssen.

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