Dossier: “Der Weiße Wolf”

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Ab 1996 produzierten Neonazis in der JVA Brandenburg/Havel einen “Rundbrief inhaftierter Kameraden” mit dem Titel “Der Weiße Wolf”. Das Heftchen wurde aus dem Gefängnis heraus vertrieben. Das Brandenburger Justizministerium stritt den Skandal damals wider besseren Wissens ab. Zu den Herstellern und Unterstützern des Heftes gehörten unter anderem Carsten Szczepanski, alias V-Mann „Piatto“, Maik F., Mike Danowski und weitere Personen, die dem NSU-Umfeld zuzurechnen sind. Im Jahr 2002 erscheint im „Weißen Wolf“ ein Dankesgruß an den NSU. Zuvor geht bei den Machern des Heftes eine Geldspende und eine Selbstvorstellung des NSU ein.
Das Heft entwickelte sich über die Jahre zu einem zentralen Fanzine für Mecklenburg-Vorpommern.

Bei der Neonazipostille Der Weiße Wolf handelt es sich um eines der merkwürdigsten, aber auch interessantesten Kapitel neonazistischer Aktivitäten in Brandenburg, die sich unter den Augen und vermutlich mit dem Wissen gleich mehrerer Sicherheitsbehörden entfalten konnte. Die Aktivitäten des Herausgeberkreises und seine Verflechtung mit dem NSU sind bisher nur bruchstückhaft durch journalistische und antifaschistische Recherchen aufgedeckt.

Anfang der 1990er Jahre steigt die Zahl inhaftierter Neonazis deutlich an. Diese treffen in den Haftanstalten auf unterstützende Strukturen. Die Hilfsorganisation für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e.V. (HNG) und die Kleinstorganisation Internationales Hilfskomitee für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e.V. (IHV) sind dabei besonders aktiv. Beide überschneiden sich im Wesentlichen in ihrem Betätigungsfeld, wobei die IHV nie eine solche Bedeutung in der Inhaftiertenbetreuung wie die HNG erlangt.

Die von dem Neonazi Ernst Tag, mit dem Uwe Mundlos in Kontakt stand, gegründete IHV verknüpft eine illustre Runde von bekannten Neonazis – auch solche, die später im Umfeld des NSU auftauchen. Dazu gehören die IHV-Bezirksführer Michael See alias „Tarif“ und Carsten Szczepanski alias „Piatto“. Zusätzlich zu dieser Unterstützung von außen beginnen sich die inhaftierten Nazis in den Knästen selbst zu organisieren. Dabei nutzt ihnen ihre Vormachtstellung in den Knästen Brandenburgs.

In einem 1996 im szeneinternen Schulungsblatt Umbruch veröffentlichten Aufruf, den unter anderem das NF -Mitglied Maik F. aus Mittenwalde unterschreibt, wird zu einer Organisierung und Vernetzung aufgerufen: „Nutzt jede Gelegenheit zur Kontaktaufnahme bzw. Kameradschaftstreffen (Umschluß, Freistunde usw.). Verbringt diese Treffen nicht nur mit Kaffeetrinken, sondern führt politische Gespräche, tauscht Erfahrungen und betreibt politische und rechtliche Schulungen […] Materielle Unterstützung muß von Draußen erfolgen, moralische Solidarität kann auch von den Kameraden Drinnen geleistet werden.“

Dem gingen „nationale Gefängnisrevolten“ im Dezember 1992 in der JVA Zeithain in Sachsen, im Dezember 1993 in der JVA Luckau und in der JVA Königs Wusterhausen voraus, Dabei nahmen die beteiligten Neonazis Geiseln. Neun Neonazis brachen im Dezember 1993 aus der JVA Schwarze Pumpe aus. Über diese Ereignisse  berichteten Neonazi-Zeitschriften ausführlich.

Im Jahr 1995 findet sich in der JVA Brandenburg eine Gruppe von Neonazis, die allesamt Haftstrafen wegen Gewalt- und Tötungsdelikten verbüßen. Dazu gehören Jens-Werner K., Anführer der 1. Werwolf-Jagdeinheit Senftenberg; Maik F., NF-Mitglied aus Mittenwalde, Mike Danowski aus Frankfurt (Oder), der dem Umfeld der Direkten Aktion Mitteldeutschland/JF zuzurechnen ist und Carsten Szczepanski aus Königs Wusterhausen. Danowski hatte zuvor in der JVA Schwarze Pumpe unter anderem zusammen mit den Mördern von Amadeu Antonio die rechten Gefangenen angeführt. Auch er unterschreibt den Aufruf im Umbruch. Carsten Szczepanski erwirbt sich mit dem Skinzine „United Skins“ und der ungestörten Durchführung eines Rechtsrockkonzertes in der Nähe von Königs Wusterhausen einen guten Ruf in der Szene. Danowski, Jens-Werner K. und Maik F. gehören auch zu den Gründern der Knast- und Kerkergemeinschaft Brandenburg. Diese fungiert anfänglich als „Herausgeberin“ des Rundbriefes Der Weiße Wolf. Als feste Gruppe innerhalb der Häftlinge sind sie darüber hinaus in der Redaktion der anstaltseigenen Häftlingszeitung vertreten. Sie nutzen diese Verbindung und die greifbaren Kapazitäten für die Herstellung des Weißen Wolfes.

Die Liste der Autoren, die für den Weißen Wolf schreibt, zeigt eine Vielzahl von Verbindungen innerhalb der Naziszene, insbesondere in das Netzwerk von Blood & Honour. Neben Jens-Werner K. (Pseudonym „Wehrwölfchen“) oder Thomas Starke aus Chemnitz/JVA Waldheim finden sich auch Leserbriefe von Torsten Heise. Zeitgleich stellten die Neonazis noch das United Skins und teilweise die Nazipostille Der Wehrpass in der JVA Brandenburg her.

Als dies durch Presseveröffentlichungen im Dezember 1996 bekannt wird, sieht sich das Brandenburgische Justizministerium zum Handeln genötigt. Doch weder die Befragung der Knastkameradschaft um Szczepanski, Maik F. und Mike Danowski, noch die scheinbar verschärften Post- und Zellenkontrollen führen zum Erfolg. Und so leugnen die Anstaltsleitung und das Justizministerium die Herstellung von Neonazipostillen in der JVA Brandenburg. Dies geschieht allerdings wider besseren Wissens. Denn schon im September 1996 stellt ein Häftling in einer mehrseitigen Strafanzeige dar, wie die Clique um Szczepanski die Ausrüstung der Anstaltszeitung großzügig ausnutzt. Unterbunden werden die Aktivitäten in der JVA jedoch nicht, da die Inhalte der Kopiervorlagen, die der Strafanzeige beiliegen, nicht strafbar seien, weil etwa auf Hakenkreuze oder ähnliche Symbolik verzichtet wird. Als schließlich einen Monat später im Ministerium in Potsdam beide Vorgänge zusammenfinden, ist das öffentliche Dementi schon verbreitet und wird nicht mehr berichtigt.

Carsten Szczepanski wird schon im August 1994 zu Beginn seiner Untersuchungshaft in der JVA Brandenburg vom Brandenburger Verfassungsschutz angeworben. Nach seiner Verurteilung 1995 wird er bald in den offenen Vollzug verlegt und Freigänger. Regelmäßig fährt ihn der Verfassungsschutz zu diversen Treffen mit anderen Neonazis. So unterhält er Verbindungen von Königs Wusterhausen und Brandenburg nach Chemnitz zu Thomas Starke und Torsten S., die beide in regelmäßigem Kontakt zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe standen.

Maik F. kehrt nach seiner Haftentlassung nach Mittenwalde zurück und bleibt weiterhin Herausgeber von Der weiße Wolf. Er heiratet Sylvia E., Vorstandsmitglied der inzwischen verbotenen HNG, zu der Uwe Mundlos schon früh intensiven Briefkontakt unterhielt und bleibt weiterhin aktiv. Der Hallenser Neonazi Thomas Richter (alias V-Mann „Corelli“) stellt später für Der Weiße Wolf und Speicherplatz für eine Homepage zur Verfügung. Im Jahr 2002 erscheint im Vorwort einer Ausgabe von Der Weiße Wolf eine schlicht eingerahmte Nachricht:

Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter

Der Dank bezieht sich auf eine Geldspende, die der NSU per Brief an Der Weiße Wolf zusammen mit einer Selbstvorstellung schickte. Die Polizei findet diesen Brief bei dem einstigen NPD-Landtagsabgeordneten von Mecklenburg Vorpommern und damaligen Herausgeber von Der Weiße Wolf David Petereit. Während Petereit diesbezüglich fehlende Erinnerung vorgibt, wird die Spende an Der Weiße Wolf nicht von Zschäpe im Dezember 2015 vor Gericht bestätigt. Auch der Herausgeber einer weiteren Neonazipostille, Torsten W., bestätigt den Empfang einer Geldspende und eines Briefes vom NSU. Nebenklagevertreter im NSU-Prozess vermuten, dass der Verfassungsschutz von den Spenden des NSU wusste, da auch ein V-Mann den Verfassungsschutz über diese Spenden informierte. Daher stellen die Anwälte im Juni 2016 einen Antrag, dass David Petereit und Torsten W. als Zeugen gehört werden sollten. Die folgende Vernehmung führt angesichts der angeblichen Erinnerungslücken bei David Petereit zu keinen weiteren Erkenntnissen.

 

Wir empfehlen auch einen Blick in die verlinkten Original-Quellen:
https://www.documentcloud.org/documents/716724-der-weisse-wolf.html#document/p1/a106533

Weitere Informationen:
Beitrag von Toralf Staut: „Ministerium verharmloste rechte Propaganda aus dem Knast“ auf Zeit Online, 26. Juni 2013

„Vielen Dank an den NSU“ – Was wusste der „Weisse Wolf“? auf NSU-Watch, 28.03.2012

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