Zusammenfassung – 5. Sitzung – 19.12.2016

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Zu der 5. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses Brandenburg am 19. Dezember 2016 waren vier NSU-Untersuchungsausschuss-Vorsitzende bzw. ehemalige Vorsitzende aus dem Bundestag, Thüringen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen geladen. Sie berichteten aus der Praxis der jeweiligen Ausschüsse und deren Arbeitsergebnissen. Als relevante Themen für den Brandenburger Ausschuss wurden herausgearbeitet: Zusammenarbeit mit den aktenliefernden Behörden (Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften), die Rolle der V-Leuten Carsten Szczipanski und Toni Stadler sowie weitere Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen dem Netzwerk um das NSU-Kerntrio und dem Land Brandenburg. Erneut traten die Verschleierungstaktiken und Verzögerungen in der Aktenausgabe der verschiedenen Verfassungsschutzämter als Problem in einem demokratischen Prozess offen zu Tage.

Ankündigung

Dorothea Marx (SPD), Thüringen:

Die derzeitige Vorsitzende des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Thüringen beschrieb in Anlehnung an den ersten Thüringer Abschlussbericht zunächst, welche Neonazi-Kreise in Thüringen das Kerntrio des NSU prägten. Dabei wies sie auf den ehemaligen V-Mann Tino Brandt hin, der sich damit brüstete, den Thüringer Heimatschutz (THS) seit 1994 mit Verfassungsschutz-Geldern aufgebaut zu haben. Brandt sitzt derzeit eine mehrjährige Haftstrafe ab. Der THS zählte 1998 etwa 120 Personen. Der THS-Vorläufer Anti-Antifa Ostthüringen stand in engen Verbindungen mit ostbrandenburgischen Nazis. Danach widmete sich Marx der Zusammenarbeit zwischen dem Brandenburger und dem Thüringer Verfassungsschutz in der ergebnislosen Fahndung nach dem Trios. Die Information über die SMS ‚Was ist mit den Bums‘ sei mündlich vermutlich an den Thüringer Verfassungsschutz-Präsidenten weitergeben worden, aber nicht bei der Zielfahndung gelandet. In diesem Zusammenhang wies Marx auf die 45. Sitzung des Thüringer Untersuchungsausschusses hin, in der der aktuelle Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Gordian Meyer-Plath, als Zeuge geladen war. Meyer-Plath war zuvor V-Mann-Führer von Carsten Szczepanski in Brandenburg.

Clemens Binninger (CDU), Bund:

Binninger erklärte, die Aufgabe der beiden Bundestages-Untersuchungsausschüsse sei es, möglichst viele Antworten auf Fragen des Gesamtfalls zu finden. Er betonte die politische Dimension eines Untersuchungsausschusses in der Demokratie, da er „die stärkste Waffe der Opposition“ sei. Im NSU-Fall würde aber gemeinsam, anstatt gegeneinander gearbeitet. Viele Fragen werden nach seiner Einschätzung voraussichtlich unbeantwortet bleiben. Ein Versagen in der Aufklärung sei aber nicht nur dem Verfassungsschutz zuzuschreiben, sondern gelte auch für die Polizei und die parlamentarische Kontrolle. Als wichtige Fragen bliebe beispielsweise stehen, wieso während der NSU-Mordserie gegen die Angehörigen der Todesopfer wegen angeblicher Verbindungen in die organisierte Kriminalität ermittelt wurde und auch nach der Selbst-Enttarnung des NSU noch von einem bloßen Trio ausgegangen wurde. Binninger hielt fest, dass das Ausmaß der Verbrechen zu groß sei für drei Einzeltäter*innen.

Er war der Meinung, dass mit der Anwerbung Carsten Szczepanskis als V-Mann der Rechtsstaat eine „rote Linie“ überschritten habe und auch im Generellen stünde der Auftrag der Informationsgewinnung und das Risiko der Anwerbung gewalttätiger Neonazis im NSU-Fall in keinem Verhältnis. Dennoch sprach er sich für den Einsatz von V-Leuten aus – unter klaren Bedingungen und bei Verbrechen mit einem reduzierten Quellenschutz. Die Aktenlieferung aus Brandenburg beanstandete er kaum, wies aber auf die kürzliche Aktenvernichtung in Brandenburg hin. Unklar sei weiterhin, wo das Diensthandy von Szczepanski abgeblieben sei.

Obwohl Brandenburg keinen Schwerpunkt in den Bundestags-Untersuchungsausschüssen darstellt, formulierte Binninger Fragen, die den Brandenburger Ausschuss beschäftigen sollten: Wieso waren auf den Quellenmeldungen von Szczepanski die Namen des NSU-Kerntrios nicht genannt? Wieso wurde die Zielfahndung nicht ausgeweitet, nachdem klar war, dass es um Passfälschungen und Waffenbeschaffung ging? Wieso wurde Szczepanski nicht gezielt auf das Trio angesetzt? Wann taucht der Begriff NSU erstmals in den Akten auf? Was passierte mit dem Diensthandy und der dazugehörenden Telefonnummer?

Patrick Schreiber (CDU), Sachsen:

Der ehemalige Vorsitzende des Untersuchungsausschusses in Sachsen legte einen Schwerpunkt auf die Fahndung nach dem NSU-Kerntrio und auf deren Raubserie. Schreiber betonte anschließend die Problematik eines Untersuchungsausschusses, in dem damals auch Vertreter*innen der NPD saßen. Der sächsische Untersuchungsausschuss sei isoliert von den Ausschüssen gewesen, weil es dort Bedenken gegeben habe, dass über die NPD sensible Daten weitergegeben werden könnten.

Sven Wolf (SPD), Nordrhein-Westfalen:

Wolf betonte wie Binninger die überparteiliche Zusammenarbeit im Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen. Er begann mit den ungeklärten Umständen des Todes des V-Manns Corelli, alias Thomas Richter im Jahr 2014. Da das Todesermittlungsverfahren noch laufe, verwies er darauf, dass er keine Beweiswürdigung abgeben könne und im April mit dem Abschluss des Verfahrens zu rechnen sei. Schließlich konzentrierte er sich auf den Umzug und die Tätigkeiten Toni Stadlers nach Dortmund. Stadler sei als Zeuge im Untersuchungsausschuss unwillig aber dennoch redselig gewesen. Er habe Verdachtsmomente von sich gewiesen, so etwa die Taxifahrt, während der er nach Aussage des Taxifahrers mit zwei Männern mit sächsischem Akzent über Waffengeschäfte gesprochen haben soll. Der nordrhein-westfälische Staatsschutz habe Stadler observiert, aber konnte gegenüber dem Ausschuss keine Erkenntnisse über Stadlers Aktivitäten in der rechtsradikalen Szene des Bundeslandes liefern. Schließlich legte Wolf dar, wann Stadler und Carsten Szczepanski i in Kontakt gestanden hätten und verwies auf die 35. Sitzung in NRW.

Wolf beurteilte die Zusammenarbeit mit dem Brandenburger Verfassungsschutz auf Grundlage eines Beweisbeschlusses, der umgehend und ohne Schwärzungen erfüllt wurde, als gut und verwies auf Probleme mit anderen Behörden wie dem Bundesverfassungsschutz. Er betonte, dass die Zusammenarbeit unter den einzelnen Ausschüssen wichtig sei, da nur so bestimmte Zeug*innen wegen der unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Länder bzw. des Bundes geladen werden könnten. Auch empfahl er dem Brandenburger Ausschuss, Toni Stadler zu laden.

Fragerunde

Im zweiten Teil der Sitzung wurde im Detail erörtert, welche Akten die jeweiligen Ausschüsse geordert, bekommen und öffentlich verhandelt hatten. Dabei sticht die Praxis in Thüringen heraus, die vom dortigen Verfassungsschutz nur ungeschwärzte Akten anfordert und behandelt. Die Sachverständigen waren sich nicht einig, mit welchen Maßstäben der Akteneinsicht der Informationsgewinn effektiver sei – weniger, aber ungeschwärzte oder mehr aber geschwärzte Akten. Der Hinweis Binningers, dass er öfter vor die einzelnen Ausschüsse geladen worden sei als so mancher Verfassungsschützer, war eine der wenigen politischen Beurteilungen über die Aufarbeitung während dieser Sitzung. Neben Carsten Szczepanski wurden als wichtige Figuren für Brandenburg der ehemalige V-Mann Toni Stadler und der aus Frankfurt (Oder) stammende Nico Schiemann, die beide inzwischen nach Dortmund gezogen sind, angesehen. Auch der Zusammenhang zwischen dem NSU-Netzwerk und der Rockerszene in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Hessen sei noch nicht oder zu wenig erörtert.

Pressekonferenz

Fraktionsübergreifend wurde in der anschließenden Pressekonferenz die Anwerbung eines V-Manns wie Carsten Szczepanski aus dem Gefängnis heraus für nicht mehr vertretbar beurteilt. Inwiefern der Brandenburger Verfassungsschutz 1994 gegen Vorschriften verstoßen habe, müsse der Ausschuss nun prüfen. Alle Fraktionen sprachen sich dafür aus, V-Leute als mögliche Zeug*innen vorzuladen.
Die folgende Sitzung im Januar ist nicht öffentlich, da mit Justizminister, Innenminister und Verfassungsschutzchef des Landes das weitere Verfahren besprochen werden soll. Denn noch immer nicht ist geklärt, wie die Aktensuche und -einsicht im weiteren Verlauf geregelt wird.

Fazit

Die knapp fünfstündige Sitzung brachte nur wenige inhaltliche Ergebnisse hervor. Alle geladenen Parlamentarier*innen bezogen sich fast ausschließlich auf die Abschlussberichte und hielten sich mit politischen Bewertungen größtenteils zurück. Als Fazit, das betonte erneut Clemens Binninger, werde gezogen, dass das Versagen in der Ermittlung der Mörder*innen und in der Aufklärung einer rechtsradikalen Mordserie in einem Zusammenspiel der unterschiedlichen Behörden VS, Polizei und Staatsanwaltschaften zu suchen sei. Wieso es deutschen Ermittlungsbehörden nicht gelang oder nicht gelingen wollte, in der Ceska-Mordserie in neonazistischen Strukturen zu fahnden, blieb unbeantwortet. Das Wort „(Alltags)rassismus“ als Selbstkritik für die deutschen Institutionen wurde weder von den Obleuten noch von den Sachverständigen benutzt. Binninger beurteilte das Missverhältnis zwischen Quellenschutz von V-Leuten und der Mordserie aus heutiger Sicht politisch eindeutig zugunsten der Aufklärung: Bei solch einem Ausmaß an Verbrechen an Menschen müsse der Quellenschutz zurück stehen. Gleichzeitig sprachen sich jedoch alle Sachverständigen für Quellenschutzmaßnahmen und den Einsatz von V-Leuten aus.

Es wurde deutlich, dass die ausreichende demokratische Teilhabe am Untersuchungsausschuss in Brandenburg noch immer nicht gewährt ist. Das Untersuchungsausschussgesetz in Brandenburg muss geändert werden, damit auch Verfassungsschutz-Akten mit Einstufungen ab und über der Stufe „nur für den Dienstgebrauch“ öffentlich besprochen werden können. Eine Ergebnissichtung der Abschlussberichte der anderen Ausschüsse und Verfahrenshinweise – etwa, wie V-Leute anonym, aber öffentlich vernommen werden können – hätte zwischen den Ausschussangehörigen der anderen Länder und und den Brandenburger Obleuten geklärt werden können. Im Sinne von Aufklärung hat diese Sitzung kaum etwas beigetragen, dafür aber das umfassende Versagen der Ermittlungsbehörden noch einmal deutlich ans Licht geführt.

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