Zusammenfassung – 26. Sitzung – 04. Mai 2018

0

In der 26. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 4. Mai beschäftigten sich die Obleute weiter mit dem Neonazi und V-Mann Carsten Szczepanski (Tarnname „Piatto“). Kernthemen waren seine Quellenmeldungen als Spitzel und die Einschätzungen des Brandenburger Verfassungsschutzes.

Geladen waren:
1. Hasso Lieber: Er war von Ende 1998 bis Oktober 1999 Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes
2. Heiner Wegesin: Er leitete von 2000 bis 2004 Leiter den Brandenburger Verfassungsschutz.
3. Henning Pradel, geb. Klinz: Neonazi aus Kirchmöser bei Brandenburg an der Havel.

Unterschiedlicher konnten die Einschätzungen, die die Zeugen über den Neonazi-Spitzel Szczepanski abgaben, kaum sein: Für Heiner Wegesin, der bereits im September 2017 im Ausschuss gehört wurde, war Szczepanski die Top-Quelle mit bundesweiter Bedeutung. Der Ex-VS-Leiter und nunmehr praktizierende Rechtsanwalt Hasso Lieber fand den V-Mann dagegen völlig überbewertet. Szczepanskis enger Freund und damaliger Weggefährte Henning Pradel, geb. Klinz, wusste nichts von dessen Spitzeltätigkeit, für ihn war Szczepanskis eine wichtige Szenegröße.

Desinteresse und Ignoranz

Als erster Zeuge wurde der 71-jährige Rechtsanwalt und ehemalige Richter Hasso Lieber gehört, der von November 1998 bis Oktober 1999 die Abteilung 5 – Verfassungsschutz – des Brandenburger Innenministerium geleitet hatte. Er gab an, umfangreich über die Spitzeltätigkeit von Szczepanski alias „Piatto“ informiert gewesen zu sein. Seine Einschätzung über die Nützlichkeit und Wertigkeit der Quelle wich stark von der seiner Mitarbeiter*innen ab: Hohe Kosten für in seinen Augen nur unzureichende Informationen, seien bei dieser „moralisch fraglichen“ Person, nicht angemessen. Dennoch wurde Piatto zu Liebers Zeit als „A-Quelle“ eingestuft. Er habe sich auf die Einschätzungen seiner Mitarbeiter, u.a. Referatsleiter Jörg Milbradt, verlassen. Lieber war knapp elf Monate im Verfassungsschutz, ein kurzer Zeitraum, der mit den Landtagswahlen 1999 beendet wurde. Nach dieser Wahl übernahm die CDU das Innenministerium. Es sei, so SPD-Mitglied Lieber, undenkbar einen „roten“ Verfassungsschutzchef in einem „schwarzen“ Ministerium zu beschäftigen. Die Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher wunderte sich über den defensiven Führungsstil und das geringe Gestaltungsinteresse des Verfassungsschützers. Die CDU-Abgeordneten wurden sogar zeitweise wütend, weil Lieber sich nicht durch die Einsicht alter Akten vorbereitet hatte und mit Gedächtnislücken herausredete. Sie warfen ihm vor, den Ausschuss nicht ernst zu nehmen. Auch in Bezug auf den Nationalsozialistischen Untergrund fehlte dem ehemaligen Verfassungsschützer die erforderliche Ernsthaftigkeit: Auf eine Frage der CDU nach dem NSU-Trio antwortete Lieber lapidar, er habe damals kein „NSU“ gekannt – wäre dem so gewesen, hätte man schon damals Scherze über das Kürzel gemacht, denn „NSU“ sei eine Moped-Marke.

VS outet eigenen Spitzel

Heiner Wegesin wurde als zweiter Zeuge vernommen. Er übernahm nach Lieber, im Januar 2000 die Leitung des Brandenburger Verfassungsschutzes und war bereits im letzten Jahr zum Komplex „Nationale Bewegung“ im Untersuchungsausschuss vernommen worden (Zusammenfassung 7. November). Wegesin wurde zu seinem Mitarbeiter Jörg Milbradt befragt, den er als einen „loyalen und hervorragenden Analytiker“ bezeichnete. Die SPD-Abgeordnete Inka Gossmann-Reetz wollte wissen, wie Milbradt sich an das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst gehalten habe und legt dem 64-jährigen Verwaltungsjuristen ein Fax vor. In diesem drängte Milbradt im Februar 2000 die Polizei von operativen Maßnahmen im Raum Königs Wusterhausen abzusehen. Sein Neonazi-Schützling Szczpanski, seit seiner Haftentlassung vor Ort aktiv, sollte nicht ins Visier genommen und seine Tarnung nicht gefährdet werden. Das LKA folgte der Aufforderung des VS und verzichtete damals auf Maßnahmen gegen Szczepanski. Ein erneutes Mal offenbarte sich das skandalöse Prinzip Quellenschutz vor Strafverfolgung beim Verfassungsschutz. Außerdem fahrlässig oder zumindest äußerst fragwürdig in dem Fax: Der VS benannte den Spitzel Szczepanski namentlich und enttarnt ihn somit gegenüber der Polizei. Dieses Detail ist interessant, da die CDU in der vorherigen Sitzung noch den damaligen PDS-Landtagsabgeordneten und heutigen Justizminister, Stefan Ludwig (LINKE), beschuldigt hatte, den Spitzel enttarnt zu haben. Der VS war damit mindestens mitverantwortlich für Szczepanskis öffentliche Enttarnung.

„Bis heute überzeugter Neonazi“

Die Vernehmung Wegesins bestärkte das Bild der politisch unverantwortlichen Arbeitsweise des Geheimdienstes. Der VS baute gewissenlos die Brandenburger Neonaziszene mit auf. Neben der Anmietung eines Postfaches für die Terrorgruppierung „Combat 18“, finanzierte der Brandenburgische VS die Ausstattung vom Szczepanskis Ladengeschäft „Thule“ in Königs Wusterhausen mit einem vierstelligen Betrag. Für Wegesin war das zwar ein „Ritt auf der strafrechtlichen Rasierklinge“, aber eigentlich kein Problem. Der Laden sei „ein informationelles Wasserloch“ gewesen, an welche „die schlimmen Tiere zum Saufen kommen“. Die Steuerung von Piatto in der Neonaziszene habe allein der Informationsgewinnung gedient. Nonnemacher hakte nach, wie sich der Full-Time-Job des Spitzels Piatto mit der Aussage vertrage, dass der VS nicht aktiv steuern dürfe. Wegesins Antwort: „Solange er mitmacht, ist es in Ordnung“. Es sei darum gegangen, inwiefern damit Organisationen beeinflusst werden konnten. So sei auch Piattos Tätigkeit bei der NPD zu verstehen: Der „in der Wolle gefärbte und bis heute überzeugte Rechtsextremist“, so zitierte Wegesin Kollegen des Zeugenschutzprogrammes, sei selbst an die NPD herangetreten und Organisationsleiter des Brandenburger Landesverbandes geworden. Als Organisationsleiter wäre er aber nur „exekutiv tätig“ gewesen. Damit sei er zwar „kein kleines Licht, aber auch nicht in exponierter Stellung“. Wegesin betonte, man habe sich „im Stande der Unschuld gesehen“ und auch das NPD-Verbotsverfahren war „noch nicht am Horizont zu sehen“.

B&H: Mehr als Musik

Der dritte Zeuge, der in dieser Sitzung vernommen wurde, ist der Brandenburger Neonazi Henning Pradel, ehemals Klinz. Er kennt Szczepanski seit Anfang der 1990er Jahre über das Fanzine „United Skins“ und soll Mitarbeiter bei Movement Records, dem Plattenlabel von Jan Werner, und Teil des Blood & Honour- Netzwerk gewesen sein (https://gamma.noblogs.org/archives/840). Pradel selbst behauptete, er sei kein Mitarbeiter gewesen, sondern lediglich Namensgeber und mit Werner befreundet. Auch sagt er aus, selbst nicht Mitglied von Blood & Honour (B&H) gewesen zu sein, obwohl er nachweislich bei Treffen von Führungskadern von B&H anwesend war. Er sei eng mit dem Neonazinetzwerk verbunden gewesen, habe das Vertrauen vieler Aktivist*innen genossen und freundschaftliche Beziehungen gepflegt, z.B. mit Marcel Schilf, der in Skandinavien B&H aufbaute. Der Zeuge war zwar recht gesprächig, wich jedoch aus, sobald es brisanter wurde, etwa als es um Waffen, Wehrsportübungen oder konkrete Namen von B&H Brandenburg ging. Würde man den Ausführungen Pradels Glauben schenken, handelte es sich bei B&H nur um ein Musik-Netzwerk, welches „gute Konzerte organisierte“. Für den Neonazi war das allerdings nicht genug, wie aus verschiedenen Vorhalten durch die SPD hervorgeht: In diesen hatte Pradel B&H kritisiert, weil sie nur Konzerte organisierten, „man müsse mehr tun“. Er selbst bestritt diese Aussage in der Ausschusssitzung. Zum Abschluss legte Nonnemacher (Grüne) legen dem Zeugen eine Liste mit 37 Nazis vor. Er konnte davon einige Musiker u.a. der Bands Landser, Noie Werte und Thorshammer identifizieren und einige Nazis wie Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die aus den Medien bekannt seien.

Drucken & PDF

Comments are closed.