Zusammenfassung – 2. Sitzung – 09.09.2016

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Bei seiner zweiten Sitzung am Freitag, dem 9. September 2016, tagte der NSU-Untersuchungsausschuss im brandenburgischen Landtag zum ersten Mal öffentlich. Gehört wurden zwei Sachverständige. Die Professoren referierten über die Sicherheitsarchitektur und die Rechte und Pflichten von Sicherheitsbehörden in Brandenburg. Im Land gibt es erheblichen Nachholbedarf, was die demokratische Kontrolle der Geheimdienste und die klare Gestaltung ihrer Befugnisse angeht. Zur Praxis der Verfassungsschutzarbeit konnten die Sachverständigen keine Auskunft geben. Die Sitzung fand am Jahrestag des ersten tödlichen NSU-Anschlags gegen Enver Şimşek vom 9. September 2000 in Nürnberg statt.

Ankündigung | Protokoll

Vortrag von Prof. Alleweldt

Zuerst wurde Prof. Dr. Ralf Alleweldt gehört. Der 55-jährige lehrt Verfassungs- und Europarecht an der Fachhochschule der Polizei in Oranienburg. Alle seine bezogen sich auf die rechtlichen Grundlagen, nicht die tatsächlich umgesetzte Praxis.
Aufgabe des Verfassungsschutzes sei es, Informationen über sicherheitsgefährdende politische Bestrebungen zu sammeln – dies beinhaltet, geht aber auch über strafrechtliche Aktivitäten hinaus. Die Polizei sei für die Strafverfolgung und für die Verhinderung von Straftaten zuständig. Der Verfassungsschutz sei also „Sammler, kein Jäger“. Zur Frage, ob der Verfassungsschutz Informationen über bevorstehende oder begangene Straftaten an die Polizei weiterleiten darf oder muss, stünden im verfassungsrechtlichen Rahmen zwei Prinzipien in Konkurrenz. Das informationelle Trennungsprinzip hält fest, dass Polizei und Verfassungsschutz unterschiedliche Aufgaben haben und deshalb getrennt zu agieren haben. Der Verfassungsschutz sammle frei und mit niedriger Schwelle sensible Daten – die zur Grundrechtssicherung nicht ohne weiteres bei der Polizei landen dürften. Dagegen steht das Prinzip der grundrechtlichen Schutzpflichten: Der Staat sei verpflichtet, die körperliche Unversehrtheit und das Leben seiner Bürger zu schützen. „Quellenschutz“ für V-Leute sei ein legitimes Anliegen, er dürfe aber kein absolutes Gewicht haben. Spätestens wenn es um Lebensrettung gehe, habe der Quellenschutz zurück zustehen.
Alleweldt schlägt vor, dass die Weitergabe von Informationen durch den Verfassungsschutz nicht mehr im Ermessen der Behörden liegen solle – das Ermessen könnte „auf Null“ reduziert werden.

Vortrag von Prof. Wolff

Nach einem kurzen nicht-öffentlichen Teil der Sitzung folgte der Vortrag von Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff. Der 51-jährige lehrt öffentliches Recht an der Universität Bayreuth. Er war schon in drei anderen NSU-Untersuchungsausschüssen als Sachverständiger geladen und vertritt den BND und den Verfassungsschutz, wenn diese von TKÜ-Betroffenen verklagt werden. Auch Wolff betonte die Trennung der Aufgabenbereiche von Polizei und Verfassungsschutz. Brandenburg würde in Bezug auf die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes nicht im Bundestrend liegen: „Sie hängen hier ein bisschen hinterher“. Der Verfassungsschutz in Brandenburg sei – in der Theorie – so konstruiert, dass er vor allem Informationen beschaffen solle und weniger operative Befugnisse habe.
Empfehlungen Wolffs beinhalten eine Aktualisierung des brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Insbesondere stark eingreifende operative Mittel – z.B. langfristige Observationen oder der langfristige Einsatz von V-Leuten – müssen klar geregelt werden. Laut Wolff müssen die Befugnisse des parlamentarischen Kontrollgremiums dringend ausgeweitet werden.

Fragerunden

Nach einer Mittagspause stellten die Untersuchungsausschussmitglieder, in drei Fragerunden, Fragen an die Sachverständigen. Vor allem Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher fiel mit vielen Fragen auf versuchte dabei offenbar auszuloten, wie die rechtlichen Möglichkeiten für eine Übertragung der Verfassungsschutzaufgaben an die Polizei wären.

Volkmar Schöneburg (Linke) fragte zu §138 des Strafgesetzbuches und dessen Verhältnis zum Quellenschutz. Auf die Frage, ob Anzeigepflicht auch bei Straftaten, z.B. schwerer Raub, gilt antwortete Alleweldt , dass bei einem schweren Raub die Grundrechte von Personen stark angegriffen wären, die Schutzpflicht des Staates also greifen würde und somit eine Anzeigenpflicht bestünde. Wolff widersprach – als Behördenmitarbeiter sei man verpflichtet, Informationen den internen Regelungen gemäß weiterzuverarbeiten und weiterzugeben. Wenn dadurch zum Beispiel ein schwerer Raub nicht verhindert werde, seien die Informationsweitergabe-Regeln grundrechtswidrig, nicht aber das Verhalten des fraglichen Mitarbeiters.

Ursula Nonnemacher (Grüne) fragte nach dem sehr weitgehenden Polizeigesetz in Brandenburg, dass den Einsatz von V-Leuten, verdeckte Ermittlungen und vieles mehr erlaube. Sie fragt, ob der Verfassungsschutz über andere Instrumente verfüge. Alleweldt antwortet, dass der Hauptunterschied in der Aufgabenkontur liege: Die Einsatzschwelle für den Verfassungsschutz sei niedriger als bei der Polizei – die Mittel jedoch fast identisch. Nonnemacher fragte weiter, ob die Instrumente des Verfassungsschutzes auf den polizeilichen Staatsschutz übertragen werden könnten, was der Staatsschutz bräuchte, um den Verfassungsschutz ersetzen zu können. Alleweldt antwortet, dass der Staatsschutz die meisten dieser Befugnisse schon habe – aber eben ein anderes Aufgabenprofil.
Nonnemacher fragte nach §16 des Brandenburger Verfassungsschutzgesetzes, der bei der Übermittlung von Informationen dem Verfassungsschutz einen Ermessensspielraum zubilligt und wie dieser besser kontrolliert werden könne. Laut Alleweldt habe der Gesetzgeber diesen Ermessensspielraum selbst zugebilligt. Das Gesetz könne geändert werden, wenn seitens des Gesetzgebers Änderungsbedarf besteht. Alleweldt geht davon aus, dass der Verfassungsschutz ein internes Regelwerk zur Ermessensauslegung habe.
Nonnemacher fragte, ob bei Erkenntnissen eines V-Mannes – konkret Piatto – über Waffen und Überfälle nicht ein öffentliches Interesse vorgelegen haben müsste. Für Alleweldt ist das Kriterium der Erheblichkeit dabei erfüllt, ein Ermessensspielraum dennoch gegeben. Bei Waffen könne man unterstellen, das Leben gefährdet sein könnten, was eine Informationsweitergabe begründen könne. Ob solch eine Entscheidung zwingend gewesen wäre, könne er nicht beurteilen. Wolff wird konkreter „wenn es so war, wie sie berichten, dann hätte eine Übermittlungspflicht bestanden.“

Zu den Sitzungsthemen ist jüngst auch ein Gutachten des parlamentarischen Beratungsdienstes erschienen. Darin wird kritisiert, dass Brandenburg in Hinblick auf eine „Modernisierung der gesetzlichen Grundlagen des Verfassungsschutzes“ und seiner „parlamentarischen Kontrolle“ im bundesweiten Vergleich schlecht abschneidet. https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/parladoku/w6/gu/22.pdf

Die nächste Sitzung findet am 14. Oktober 2016 statt.

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