Zusammenfassung – 10. Sitzung – 02. Juni 2017

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Die 10. Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses am 2. Juni 2017 war die zweite Sitzung, die sich mit den Ermittlungen zur „Nationalen Bewegung“ (NaBe) beschäftigte. Die Nationale Bewegung verübte zwischen 2000 und dem 2001 eine Serie neonazistischer Propagandadelikte und Anschläge im Potsdam und Umgebung. Die Taten der NaBe konnten nie aufgeklärt werden, obwohl die Ermittlungen nach einem Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam am 15. Januar 2001 von der Generalbundesanwaltschaft (GBA) übernommen wurden.

Bereits in der 9. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses wurde der Komplex um die „NaBe“ behandelt. Hierzu wurden der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg, die Staatsanwältin Irene Stari und der Bundesanwalt Wolfgang Siegmund befragt. Darauf aufbauend wurden in dieser Sitzung fünf Beamte des Staatsschutzes der Ermittlungskommission „NaBe“ geladen: Kriminaloberkommissarin Martina Littmann, Kriminalkommissarin Birgit Illing, Kriminalhauptkommissar Kresse, Kriminaloberkommissar Maik Wachholz und der damalige Leiter der Ermittlungskommission, Siegbert Klapsch. Der öffentliche Teil der Sitzung dauerte elf Stunden,außerdem wurden mehrere Sachverhalte unter Ausschluss der Öffentlichkeit im abhörsicherem Keller des Parlaments besprochen.

Viele Fragen
Nachdem in der vergangenen Sitzung weitere Zweifel aufgekommen sind und die Indizien sich immer weiter verdichteten, dass der Verfassungsschutz massiv in die Ermittlungen der Bundesstaatsanwaltschaft im Verfahren um die Nationale Bewegung (NaBe) eingegriffen hat, wurden in der zehnten Sitzung die ermittelnden Polizeibeamten befragt. Laut Aussage der Kriminalkommissarin Littmann war bereits nach der dritten Tat ersichtlich, dass es sich um zusammenhängende Ereignisse bzw. eine Anschlagsserie handeln könnte. Der Zusammenhang erschloss sich ihr durch die deutliche Bezugnahme der Taten auf historische Daten. Für Littmann war klar: es würde wieder passieren, die Frage war nur wo.
Die geladenen Polizeizeug*innen gaben an, dass trotz sehr umfangreicher Ermittlungen niemanden die Tatbeteiligung im NaBe-Komplex nachwiesen werden konnte. Lediglich bei den letzten beiden Taten der NaBe im September 2001 konnten die Neonazis Patrick B. und Daniel J. als Täter überführt werden.

Führte Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes die Ermittler auf eine falsche Fährte?
In der zehnten Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses kam an mehreren Stellen ein Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes (VS) Brandenburg zur Sprache. In diesen präsentierte der Brandenburger VS den Potsdamer Neonazis Marcel K. mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ als Täter des Brandanschlags auf die jüdische Trauerhalle in Potsdam. Zufällig entstand das Schreiben am selben Tag, an dem die NaBe letztmalig aktiv wurde. Belastet wurde K. durch den V-Mann Christian K.. Ohnehin hatte sich Marcel K. verdächtig gemacht, als er in einem Telefonat mit Stefan Rietz, das vom Berliner LKA abgehört worden war, in ironischem Tonfall gesagt haben soll: „Haha, wir wissen ja nicht wer es war“. Trotz umfangreicher Ermittlungen konnte Marcel K. keine Täterschaft nachgewiesen werden. Rückblickend sagte der Staatsschutzbeamte Michael Kresse über das Behördengutachten des VS: „Das Gutachten ist das Papier nicht wert, auf das es gedruckt worden ist“.

Im Laufe der Ermittlungen kam es zu weiteren Merkwürdigkeiten mit dem Verfassungsschutz. Illing berichtete, wie sie auf ihrem Diensttelefon persönlich von einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) kontaktiert worden war. Er interessierte sich vor allen für die Beschuldigten im Verfahren. Informationen habe sie keine herausgegeben – es hätte sich ja jeder als Verfassungsschutzmitarbeiter am Telefon ausgeben können. Für sie war dies ein ausgesprochen ungewöhnlicher Vorgang.

Dem LKA-Beamten Kresse unterstellte der Brandenburger Geheimdienst Beweismittel u.a. ein Vernehmungsprotokoll, manipuliert und Unterlagen unterschlagen zu haben. Kresse musste sich vor seinen Vorgesetzten rechtfertigen. Der Vorwurf bestätigte sich nicht. Erstaunlich war für Kresse, woher der VS über Inhalt und Länge der Vernehmung Kenntnis hatte. Auf die Frage, was die Motivation des Geheimdienstes gewesen sei, so gegen ihn vorzugehen antwortete Kresse: „Ich sag mal so, zwei V-Leute des VS sind mittels Straftaten enttarnt worden. Als Art Retourkutsche ist der VS gegen mich vorgegangen.“ Einer der beiden V-Männer seit Toni Stadler gewesen. Unklar blieb, ob Kresse mit dem zweiten V-Mann Carsten Szczepanski, alias „Piatto“ oder Christian K., alias „Backobst“ meinte.
Dabei war der Verfassungsschutz an Informationen aus dem Verfahren von Anfang an sehr interessiert. In Potsdam hatte man sogar einen Mitarbeiter zur Verfügung gestellt, der über alle Maßnahmen der Polizei im Bilde und nahezu täglich im Polizeipräsidium präsent war. Nach Aussagen des Leiters der NaBe-Einsatzkomission, Siegbert Klapsch, endete der Kontakt abrupt, als herauskam, dass der Termin der geplanten Razzia in Potsdam und Umland im Februar in die rechte Szene durchgestochen worden war.

Welche Rolle spielt Rechtsrocker Uwe Menzel im „NaBe“-Komplex?
In der Sitzung entstanden Fragen nach der Rolle des Potsdamer Rechtsrockers Uwe Menzel im NaBe-Komplex. Obwohl er den Ermittlern als Tatverdächtiger ins Auge fiel und Auswerter des LKA laut eines Vermerks vom 19. April 2001 die Aufnahme von Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a) gegen Menzel u.a. anregten, sah die GBA zu keinem Zeitpunkt einen hinreichenden Tatverdacht, um ihn als Beschuldigten im NaBe-Verfahren zu führen.

Uwe Menzel stand bereits im Vorfeld der NaBe-Ermittlungen im Visier des LKA. Nach einem Hinweis wurden bei einer Hausdurchsuchung bei ihm Waffen (eine schussfähige Pistole und eine Maschinenpistole) sowie Fotos von mit Waffen posierenden Personen gefunden. Die Waffen habe er sich nach eigener Aussage zur Selbstverteidigung besorgt, weil er sich von Linken bedroht gefühlt habe. Kresse hielt das damals für plausibel. Die Ermittler interessierten sich auch dafür, wer die Waffen für Menzel beschafft hatte. Die Spur führte zum Neonazi Carsten Szczepanski. Von seinem stellvertretenden Behördenleiter wurde Kresse wegen seiner Ermittlungen zu den Hintermännern der Waffenbeschaffung der Vorwurf gemacht, warum er die Ermittlungen so intensiv führen müsse und was das alle kosten würde – schließlich seien die Kosten für das Zeugenschutzprogramm von Szczepanski sehr hoch. Nach eigenem Bekunden verließ Kresse daraufhin den Raum mit den Worten: „Da haben wir wohl verschiedene Rechtsauffassungen“. Am Ende der Beschaffungskette stand daher nur Carsten Szczepanski, alias „Piatto“, der in der Angelegenheit als V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes enttarnt wurde.

Ob Menzel im NaBe-Komplex eine aktive Rolle spielte oder Täterwissen besaß, konnte in der Sitzung nicht geklärt werden. Deutlich wurde, dass immer wieder Spuren auch zu ihm führten. Das Berliner LKA hatte im Rahmen einer Abhörmaßnahme ein Telefonat am 1.2.2001 zwischen Marcus Sch. und Uwe Menzel mitgehört. Marcus Sch. hatte auf dem Handy von Christian Wenndorf angerufen. Das Gespräch nahm Uwe Menzel entgegen. Marcus Sch. sagte sinngemäß: „Jutjut, ick wollte nur sagen, ich hab die Bombe gelegt. Nationale Bewegung… hehehe.“ Kurz zuvor waren Drohbriefe der Nationalen Bewegung beim Potsdamer Hans-Otto-Theater eingegangen. Menzel versuchte, den Ausspruch zu bagatellisieren. Laut Kresse war dem Neonazi bewusst, wie „heiß“ das Telefonat war. Auch das Berliner LKA bewertete die Reaktion als deutliche Bagatellisierungshaltung, die vermuten ließ, dass tatsächlich ein Zusammenhang zur Nationalen Bewegung bestand.

In einer Befragung im Rahmen der Ermittlungen gegen die Rechtsrock-Band Landser wird Menzel vom LKA regelrecht als Szeneexperte befragt. Man legte ihm dabei auch ein Bekennerschreiben der NaBe vor. Der Neonazi schätze ein, dass das Schreiben einige szeneuntypische Formulierungen enthalte.

Blockierte Brandenburg die Ermittlungen gegen die Wiederbetätigung von Blood&Honour?
In der Sitzung kamen die Verbindungen der Verdächtigen zu dem neonazistischen Netzwerk „Blood&Honour“ (B&H) zur Sprache. Vor allem die Abgeordneten der Linken konzentrierten sich akribisch auf die Hinweise zu der verbotenen Organisation aus den Akten. So wird beispielsweise bei einer Hausdurchsuchung bei Sven Sch. die „Kriegskasse“ von B&H mit etwa 72.000 DM und ein Entwurf für ein CD-Cover, unterschrieben mit den Worten „Euer Kommando 28“, gefunden. In der Wohnung von Stefan Rietz finden die Ermittler bei einer Durchsuchung am 27.3.2001 u.a. Magazine, Namenslisten mit B&H-Bezug, mit „Schöne Grüße von B&H Brandenburg“ unterschriebene Briefe sowie Hinweise zu Kontakten von R. zu B&H Divisionen in den USA. Zu diesem Zeitpunkt war die militante Organisation in Deutschland bereits seit einem halben Jahr verboten und die Staatsanwaltschaft Magdeburg ermittelte wegen der Wiederbetätigung von B&H im gesamten Bundesgebiet. Die Frage, ob die Generalbundesanwaltschaft (GBA) im Austausch mit der Magdeburger Staatsanwaltschaft stand, konnte keiner der im Untersuchungsausschuss befragten Zeugen beantworten. Öffentlich bekannt wurde hingegen in der Sitzung, dass die bei Stefan Rietz beschlagnahmten Beweismittel erstaunlich schnell, am 24.4.2001, zurückgegeben und Speichelproben vernichtet wurden.

War der Neonazi und B&H Aktivist Sven Sch. ein Informant des LKA Brandenburg?
In der Sitzung wurde an mehreren Stellen die Vermutung geäußert, dass es sich bei dem ehemaligen „Sektionsführer“ von Blood & Honour Brandenburg Sven Sch. um einen Informanten des Brandenburger LKA’s gehandelt haben soll. Sch. war derjenigen, der von Christian K. am Telefon über die geplante Razzia in der Potsdamer Szene im Februar 2001 informiert worden war. Die groß angelegte Razzia war laut der Zeugenaussagen eine präventive Maßnahme des Potsdamer Polizeipräsidiums und stand nicht im Zusammenhang mit den NaBe-Ermittlungen, obwohl man sich durch die Aktion diesbezügliche Zufallsfunde erhofft hatte. Bei der Durchsuchung von Sven Sch. wurden zum Teil in Cornflakesschachteln und an diversen anderen Stellen CD’s gefunden, die sich in der Produktion befanden. Nach der Durchsuchung habe man seitens des LKAs versucht, einen „guten Draht“ zu dem Neonazi aufzubauen. Kresse traf sich regelmäßig mit Sch., man duzte sich und Kresse beriet Sch. hinsichtlich der Strafbarkeit seiner Rechtsrockmusik. Ob Sch. offizieller Zuträger des Brandenburger LKA war, wurde nicht öffentlich beantwortet und hinter verschlossenen Türen im Geheimschutzraum besprochen. Ob das gefundene Beweismaterial, ein Beleg für die Weiterbetätigung von B&H Brandenburg nach dessen Verbot, überhaupt an die zuständige Staatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt weitergeleitet wurde, blieb ebenfalls offen.

Welche Rolle spielte der Anwalt Ulli Herbert Boldt in dem „NaBe“-Komplex?
Neben bereits besprochener Aspekte, wurde in der Sitzung die Rolle des Szene-Anwalts Ulli Herbert Boldt diskutiert. Laut Wachholz spielte dieser damals in der rechten Szene eine „gewisse Schlüsselrolle“. Mehrere Mitglieder der rechten Szene hatten einen Spitzelverdacht gegen ihn erhoben. In einem Vermerk kamen die Ermittler zu dem Schluss, dass Boldt auch im NaBe-Verfahren als vermeintliche „Schlüsselfigur“ auftrat. So soll er zum Umfeld der beiden Neonazis Patrick B. und Daniel J gehört haben, die im September 2001 zwei Propagandadelikte verübten, bei denen es zumindest Bezüge zur NaBe gab. Gegen Boldt sei im Zusammenhang mit dem NaBe-Komplex jedoch nie ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden, obwohl sein Name mehrfach in den Akten erwähnt worden sein soll. Erst Anfang des Jahres vertrat Boldt den NPD-Politiker Maik Schneider im Nauen-Prozess. Im Sommer 2015 hatte Schneider eine Turnhalle in Nauen, die zu einer Asylunterkunft werden sollte, in Brand gesteckt.

(Im Absatz „Viele Fragen“ hatte sich bei der Namensnennung einer Zeugin ein Fehler eingeschlichen den wir am 24.10.2017 korrigiert haben.)

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