In der Sitzung am 22. März 2018 beschäftigte sich der Potsdamer NSU-Untersuchungsausschuss weiter mit dem Neonazi und V-Mann Carsten Szczepanski. Dabei ging es erneut um die frühzeitige Haftentlassung Szczepanskis sowie um die Anwerbung und den Umgang des Verfassungsschutzes mit dem wegen versuchten Mordes verurteilten Neonazi.
Geladen waren dazu die folgenden Zeug*innen:
1. Oberstaatsanwalt Joachim Sörries, Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder)
2. Rudolf Keseberg, ehemaliger Referatsleiter und stellvertretender Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes 1991-1998
3. Jörg Milbradt, ehemaliger Referatsleiter Auswertung und kommissarischer Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes
4. Innenminister a.D. Alwin Ziel (SPD)
5. Wolfgang Pfaff, erster Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes 1991-1996. Pfaff konnte zur Sitzung nicht erscheinen.
Einen neuen Vorstoß brachten SPD- und Linke-Fraktion mit einer These, die den Kreis der Brandenburger Beteiligten im NSU-Netzwerk erweitert. Hiernach seien die Neonazis Uwe Menzel und Henning Klinz aus dem Potsdamer Kreis der im Jahr 2000 verbotenen Blood-&-Honour-Struktur für das NSU-Unterstützungsnetzwerk relevant. Ein Aspekt dieser These, wonach es sich bei der berühmten „Was ist mit den Bums“-SMS nicht um Waffen handle, würde die Bedeutung Piattos im NSU-Komplex schmälern.
Wohlwollen gegenüber verurteiltem Neonazi
Als erster wurde Oberstaatsanwalt Joachim Sörries von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) gehört. Er war mit der früheren Haftentlassung von Carsten Szczepanski beschäftigt. Auch traf er Szczepanski persönlich, wobei er diesen zwar als „nervig“, jedoch nicht als „Dummkopf“ empfand. Über Szczepanskis Tätigkeit für den Verfassungsschutz will er keine Kenntnis gehabt haben. Ihm und der gesamten Staatsanwaltschaft sei die damalige Arbeit gegen Rechtsextreme besonders wichtig gewesen und man sei bis an die Grenze des Rechtsstaates gegangen, um gegen „jeden rechten Dorfdeppen“ vorzugehen. Dieses angebliche Engagement steht im Widerspruch zum Umgang mit dem Neonazi Szczepanski, welches auch Linke-Abgeordneten Volkmar Schöneburg irritierte. Er wunderte im Ausschuss sich über das Wohlwollen des Staatsanwaltes gegenüber dem wegen versuchten Mordes verurteilten Neonazi. Sörries bemühte sich, Szczepanski auf dessen Bitte bereits vor Verbüßung von zwei Dritteln seiner Haftstrafe zu entlassen. In der Antragsbegründung für die vorzeitige Entlassung sei nur auf die positive persönliche Entwicklung Szczepanskis eingegangen worden, so habe er zum Beispiel das Abitur in Haft nachgeholt und sich um eine Anstellung bemüht. Nicht erwähnt wurde dagegen seine Aussage im so genannten Dolgenbrodt-Verfahren 1995, die entscheidend zur Verurteilung des Neonazis Silvio Jackowski beitrug. Ausschussmitglieder hatten im Dezember 2017 gemutmaßt, dass es damals einen Deal zwischen Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft gegeben habe. Sörries Kollegin Petra Marx hatte in der Sitzung ausgesagt. Fragwürdig sei in Augen der Linken-Abgeordneten auch der Umgang mit Szczepanski nach seiner Entlassung. Eine Auflage sei gewesen, dass er sich von der rechtsextremen Szene deutlich zu distanzieren habe. Spätestens der Waffenfund beim Potsdamer Neonazi Uwe Menzel, wegen dem Szczepanski später angeklagt wurde, beweise, dass er gegen diese Auflage verstoßen habe. Sörries konnte dazu nichts sagen. Der in der Staatsanwaltschaft zuständige Kollege sei inzwischen verstorben.
Widersprüche und keine Erinnerung
Die Vernehmung des ehemaligen Verfassungsschutzmitarbeiters Rudolf Keseberg, einst Referatsleiter „Auswertung politischer Extremismus“ brachte keine neuen Erkenntnisse. Das Muster des Sich-Nicht-Erinnerns von Behördenmitarbeiter*innen wiederholte sich hier. Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher argumentierte, dass Kesebergs Erinnerungslücken oder Verantwortungsabwehr unglaubwürdig seien: Bei einem Mann der ersten Stunde in einer kleinen, sich im Aufbau befindlichen Behörde, der zuvor Erfahrungen beim Bundesamt für Verfassungsschutz gesammelt habe, sei es unglaubwürdig, dass er nichts mehr von Szczepanskis Quellentätigkeit wisse. Keseberg schilderte zudem selbst, wie auch andere bisher vernommene Mitarbeiter*innen, dass der Verfassungsschutz zu Beginn nur aus einer Handvoll Mitarbeiter*innen bestand und man um Erfahrungsaustausch bemüht war. Keseberg sagte aus, dass er erst seit der „Selbstanwerbung“ Szczepanskis während dessen Haft mit diesem in Kontakt gestanden habe. Die Vernehmung Kesebergs wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Geheimschutzkeller des Landtages fortgeführt. Begründung für den Ausschluss der Öffentlicheit war unter anderem, dass die Grünen-Abgeordnete Nonnemacher nach der Beteiligung Kesebergs an einem Gespräch mit Staatsanwältin Marx fragte, welches eine versuchte Einflussnahme des Verfassungsschutzes auf das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nahe legen würde.
Die wertvolle Quelle und seine Enttarnung
Als dritter Zeuge wurde der ehemalige Verfassungsschutz-Mitarbeiter Jörg Milbradt gehört.
Sein Eingangsstatement deckte sich mit seiner Aussage vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag Anfang 2017. Auch Milbradt gehörte zu den Mitarbeiter*innen, die den Brandenburger Verfassungsschutz aufbauten. 1991 begann er im Referat Auswertung, dessen Leitung er 1994 übernahm und bis 2001 inne hatte. Seit 1994 war Milbradt zudem stellvertretender und zeitweise kommissarischer Leiter des Verfassungsschutzes. In seiner Ausführung verteidigte er erneut die Quellentätigkeit Szczepanskis. Eswäre ein „noch größeres objektives Übel“ gewesen,nicht mit ihm zu arbeiten. In seinen Augen war der Neonazi ein wirksames Mittel gegen den Rechtsextremismus in Brandenburg. Keine andere Quelle lieferte so viele Informationen wie Szczeanski – ein „Alleinstellungsmerkmal“. Auch seine Kontakte ins Ausland seien nützlich gewesen. Szczepanski fungierte als deutscher Ansprechpartner für die britischen Gruppen Combat 18 und das National Socialist Movement. Darin sah Milbradt allerdings kein Problem, denn in der Logik des Verfassungsschutzes ginge es um Informationsgewinnung. Das gleiche gilt für die finanzielle Unterstützung eines Neonazi-Szenegeschäfts in Königs Wusterhausen, das dieser nach seiner Haftentlassung führte und zu seiner Legendierung diente. Szczepanski sei, so zeigte die Vernehmung, formal eigentlich nur ein „Informant“ gewesen. Dokumente legen allerdings nahe, dass er quasi in Vollzeit für den Verfassungsschutz unterwegs war. Fragen warf abermals die Enttarnung von Piatto im Juli 2000 auf, nur wenige Tage nachdem der VS ihn – offiziell – „abgeschaltet“ hatte. Die CDU interessierte sich im Ausschuss besonders für die Rolle des damaligen PDS-Abgeordneten und derzeitigen Justizministers Stefan Ludwig (Die Linke). Ludwig, damals Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, habe von der Quellentätigkeit Szczepanskis gewusst und soll nach Verdacht der CDU maßgeblich zu dessenEnttarnung beigetragen haben.
Kein BUMS und noch mehr Neonazis
Die SPD warf in der Sitzung gegenüber Milbradt die These auf, dass es in der SMS von Jan Werner an Carsten Szczepanski vom 25. August 1998 mit dem Wortlaut „Was ist mit den Bums?“ nicht wie bisher vermutet um Waffen drehe, sondern um eine Punkband namens „Bums“. Die Auswertung von Werners Handyüberwachung würde dies nahelegen. Die SMS ist deshalb relevant, weil sie ein Indiz ist, dass der Verfassungsschutz-Informant Szczepanski an der Beschaffung von Waffen für das NSU-Kerntrio beteiligt gewesen ist und der Verfassungschutz möglicherweise davon wusste. Der Verfassungsschutz beteuert bis heute, die SMS nicht zu kennen. Diese, auf den ersten Blick überraschende Einschätzung, wäre eine weitere Stütze für eine These der Linken, die sie anhand einer Deckblattmeldung untermauert sehen: Szczepanski informierte demnach den Verfassungschutz im Anschluss an ein Konzert in Hirschfeld 1998, dass Jan Werner auf der Suche nach Waffen für das NSU-Kerntrio sei. Da der Verfassungsschutz Polizeikontrollen befürchtete und Szczepanski zu dieser Zeit auf frühere Haftentlassung hoffte, vermutet die Linksfraktion, dass er beim Konzert selbst nicht anwesend gewesen war und die Informationen über andere Neonazis bekommen habe. Dieser Verdacht erhärte sich dadurch, dass die Meldung, im Gegensatz zu anderen, auffällig häufig im Konjunktiv geschrieben sei. Hiernach hätte er die Informationen nicht direkt von Werner gehabt und wäre nicht die entscheidende Person bei der Beschaffung der Waffen für das NSU-Kerntrio gewesen. Die Abgeordneten von Die Linke betonten, dass die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Potsdamer Blood-&-Honour-Struktur, die enge Kontakte zu Jan Werner und der sächsischen Sektion von B&H hatte, gelegt werden sollte. Insbesondere seien die Potsdamer Uwe Menzel und Henning Klinz interessant, wie die Linken auch in einer später veröffentlichten Erklärung ausführen.
Auch Milbradts Vernehmung wurde ohne Öffentlichkeit im Keller fortgeführt.
Eine Entschuldigung, aber keine Neuigkeiten
Zuletzt wurde der ehemalige Innenminister Brandenburgs Alwin Ziel vernommen, der sich zu Beginn für das Versagen der Sicherheitsstrukturen, die die zehn Morde des NSU nicht verhindern konnten, entschuldigte. Den Aufbau des Verfassungsschutzes sei er vorsichtig angegangen: „Wir wollten alles besser machen“. Allerdings habe es insbesondere durch die Neonazimorde wie jenen an Amadeu Antonio oder die Neonaziaufmärsche in Halbe einen hohen Problemdruck gegeben. Ziel wurde nach dem Umgang mit Szczepanskis Neonazikarriere befragt. Er habe zwar gewusst, dass Szczepanski ein Straftäter war, sei aber nicht im vollen Umfang informiert gewesen. Ziel schilderte im Ausschuss zudem die bereits bekannte Episode, dass er sich Rat bei dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis geholt habe. Bubis habe ihn darin bestärkt, Szczepanski als Informanten zu führen.
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