Zusammenfassung – 19. Sitzung – 12. Januar 2018

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Am 12. Januar 2018 setzte der NSU-Untersuchungsausschuss in Potsdam den Versuch fort, Licht in das Dunkel um den Neonazi-V-Mann Carsten Szczepanski zu bringen. Im Mittelpunkt der Beweisaufnahme stand diesmal die Haftzeit von Szczepanski in der JVA Brandenburg.

Berichte aus dem Chaos-Knast

Zunächst hört der Ausschuss leider unter Ausschluss der Öffentlichkeit drei ehemalige Mithäftlinge von Szczepanski. Diese hätten verschiedene Details aus dem Alltagsleben in der JVA berichtet. Dass man die Öffentlichkeit ausschloss, begründete der Ausschussvorsitzende Holger Rupprecht mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der ehemaligen Häftlinge. Tatsächlich sei die Vernehmung interessanter gewesen, als man es erwartet habe, berichtete Rupprecht gemeinsam mit den Obleuten. Nach Ansicht einiger Journalist*innen sei die JVA Brandenburg (Havel) der damals „härteste Knast“ im Bundesland gewesen. Aus den Aussagen der Mithäftlinge von Szczepanski wurde jedoch deutlich, dass die Situation damals eher von Verunsicherung der JVA-Bediensteten und allgemeiner Überforderung gekennzeichnet war. So seien viele Wärter überwiegend in Sorge gewesen, da damals die Überprüfung etwaiger Stasi-Verstrickungen anstand. Szczepanski habe sich in die typische Knasthierarchie einordnen können. Er sei zwar selbstbewusst aber keineswegs als Führerpersönlichkeit aufgetreten. Allerdings war seine politische Haltung offenkundig. Szczepanski sei zeitweise mit einem Ordner in der JVA unterwegs gewesen und habe Beitrittserklärungen für die später verbotene neonazistische „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) eingesammelt. Auffällig sei auch die Menge seiner teils sogar internationalen Briefkontakte gewesen. Seitens der JVA bestand lange Zeit Unwissenheit über rechtsextreme Musik oder Literatur, so dass es keine Seltenheit gewesen sei, dass aus den Zellen indizierte Nazimusik wie die der „Zillertaler Türkenjäger“ über die Flure schallte. Konsequenzen habe es dafür nicht gegeben. Die Postkontrolle sei entweder lasch gewesen oder sogar ausgefallen, so dass die Häftlinge problemlos indizierte CDs, Bücher oder Zeitschriften erhielten. Wie glaubhaft die Beschreibung von Szczepanski als „informellen Vollzugsleiter“ durch einen ehemaligen Mithäftling seine Rolle in der JVA wiedergibt, blieb offen. Jedoch hatten alle ehemaligen Mitgefangenen betont, dass Szczepanski mit seiner rechtsextremen Haltung offen kokettierte. Auch seinen außerhalb der JVA fortgeführten CD-Versand behielt Szczepanski im Auge. Zudem besaß er im Offenen Vollzug einen PC in der Haftanstalt, Bargeld und durch den Verfassungsschutz war er mit einem Handy ausgestattet. Nach Einschätzung der Abgeordneten hatte Szczepanski eine kaum erklärbare, privilegierte Haftsituation inne.

JVAler: Keine Erinnerungen an Verfassungsschutzkontakte

Im öffentlichen Teil der Zeugenvernehmung wurde zunächst der Zeuge G. Krüger vernommen. Dieser hatte in den 1990er Jahren als Abteilungsleiter im geschlossenen Vollzug der JVA Brandenburg gearbeitet und dann die 1997 eröffnete Abteilung des offenen Vollzugs geleitet. Der Zeuge machte zunächst deutlich, dass er sich an Szczepanski eigentlich nur aufgrund der verschiedenen Presseveröffentlichungen erinnern könne. An Probleme mit ihm konnte er sich nur insoweit erinnern, dass mehrere Häftlinge wegen eines Alkoholexzesses zeitweise in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt worden waren. Aber Szczepanski hätte Anfang 1998 wieder in den offenen Vollzug zurückkehren können. Krüger betonte, er habe damals nichts von Kontakten mit dem Verfassungsschutz gewusst oder mitbekommen. Er hielt dies rückblickend aber auch wegen der Besucher von Szczepanski für naheliegend, ohne das näher auszuführen. Dass er selbst dem damaligen V-Mann-Führer von Szczepanski im Jahr 1996 eine Besuchserlaubnis im Sonderbesuchsraum zugesandt hatte, hatte Krüger ebenfalls vergessen.  Auch die Vorhalte verschiedener Stellungnahmen, die der Zeuge damals selbst verfasst hatte, lösten keine detaillierten Erinnerungen aus. Im März 1998 hatte Krüger zur Frage einer vorzeitigen Haftentlassung in einer Stellungnahme geschrieben, dass Szczepanski beginne, sich von seinen ehemaligen „Kameraden“ zu lösen. Dies hatte Krüger im Jahr 1999 bei einer weiteren Einschätzung wiederholt, konnte sich heute jedoch daran nicht mehr erinnern. Szczepanski war für ihn ein „normaler rechtsgerichteter Gefangener“.

Praktikum im Offenen Vollzug bei „Kameraden“ in 250 Kilometer Entfernung

Nicht erklärbar war im Ergebnis auch dem Zeugen Krüger selbst, weshalb Szczepanski ein Praktikum in einem Neonazigeschäft in Limbach-Oberfrohnau (bei Chmenitz) antreten durfte. Nach den Vollzugsregeln muss ein Gefangener im offenen Vollzug seine Angelegenheiten außerhalb der JVA in maximal acht Stunden erledigen. Dies wäre bei einem Praktikum in einem 250 Kilometer entfernten Ort gar nicht möglich gewesen. Vage erinnerte sich Krüger noch daran, dass in dem Laden, wo Szczepanski arbeiten wollte, unter anderem Thor-Steinar-Bekleidung verkauft worden wäre. Es handelte sich um das Geschäft „Sonnentanz“ des Neonazi-Ehepaars Antje und Michael Probst – zwei wichtigen Unterstützer*innen des untergetauchten NSU-Kerntrios.

Eigentlich hätte die Arbeitsstelle vor Ort überprüft werden müssen, bevor das Praktikum genehmigt wurde, und anschießend regelmäßig einmal monatlich. Dies wäre aber nicht umsetzbar gewesen, weshalb es Probleme gab. Krüger selbst war es heute nicht mehr erklärlich, wie die Genehmigung zustande kommen konnte. Er hielt es für möglich, dass die regelmäßigen Durchsuchungen der Hafträume bei Szczepanski nicht durchgeführt wurden.

Auf Nachfrage erklärte Krüger, dass die Häftlinge für die Herstellung der Gefangenenzeitung besondere Arbeitsräume mit entsprechender Ausstattung hatten. Der sozialpädagogische Dienst hätte die Resultate der Arbeit abgesegnet. Er hielt es für vorstellbar, dass die Gefangenen die Räume auch genutzt hatten, um Neonazi-Fanzines wie „Weißer Wolf“ oder „United Skins“ dort herzustellen, ohne dass er diese kannte.

Drei Zeugen als Totalausfälle

Nachdem ein Zeuge nicht erschienen war, hörten die Abgeordneten anschließend gemeinsam zwei weitere ehemalige Mitarbeiter der JVA Brandenburg. Die Vernehmung wurde nach kurzer Zeit unterbrochen und soll erst fortgesetzt werden, wenn die Zeugen sich anhand Akteneinsichten ernsthaft vorbereitet haben.

Der Zeuge Höflich war ab 1996 Leiter der JVA Brandenburg und der Zeuge Eggebrecht Abteilungsleiter bzw. später Vollzugsleiter. Beide Zeugen konnten sich an Szczepanski selbst nicht erinnern. Sie gaben an, sich nur anhand von Presseberichten informiert zu haben. Höflich hatte zumindest die beiden Stellungnahmen aus der vom Zeugen Krüger geleiteten Abteilung des offenen Vollzugs gelesen.

Für Kopfschütteln sorgte, dass sich die Zeugen nicht einmal nach Vorhalten aus Akten daran erinnern konnten, mit den Brandenburger Verfassungsschützern Odenthal und Gordian Meyer-Plath 1997 über die besondere Situation von Szczepanski, seine Rückverlegung in den offenen Vollzug und die getarnte Beendigung der Postkontrolle verhandelt hatten. Da der Verfassungsschutz in seinen Aktenvermerken Eggesin sogar als ihren „Vertrauensmann“ in der JVA bezeichnet hatte, müssen beide Zeugen auf Wunsch der Abgeordneten erneut vor dem Ausschuss erscheinen.

Die nächste Sitzung des Ausschusses findet am 23. Februar 2018 statt.

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