Der Potsdamer NSU-Untersuchungsschuss führte am 8. Dezember 2017 die Vernehmungen von Zeug*innen zum Komplex um den Neonazi-V-Mann Carsten Szczepanski fort. Thematisiert wurden die neunmonatige Untersuchungshaft Szczepanskis im Jahr 1994 wegen des versuchten Mords an Steve Erenhi im brandenburgischen Wendisch-Rietz 1992 sowie seine Zeugenaussage im so genannten Dolgenbrodt-Verfahren 1995. Angehört wurden drei Zeug*innen: Kriminalhauptkommissar (außer Dienst) Klaus Schulz, der zu Beginn der 1990er Jahre beim LKA Berlin tätig war und der Justizbeamte (außer Dienst) Frank Henkel, ehemals Leiter der Untersuchungshaftanstalt in Königs Wusterhausen, in der Szczepanski einsaß, sowie die Oberstaatsanwältin Petra Marx. Marx leitete die Ermittlungen im Wendisch-Rietz- und im Dolgenbrodt-Verfahren.
Szczepanski, die Szenegröße
Der ehemalige Berliner LKA-Mitarbeiter Klaus Schulz, erinnerte sich wenig. Der Name Szczepanski war ihm zwar ein Begriff, denn „wenn man über 30 Jahre beim Staatsschutz war, muss man den Namen kennen“. Aber an Berührungspunkte mit Szczepanski in seiner Arbeit habe er keine Erinnerung. Einige Verfahren im Zusammenhang mit dem Ku-Klux-Klan, dem Heft Feuerkreuz sowie der Kreuzverbrennung in Königs Wusterhausen habe er mitbekommen. Seine eigene Rolle sei ihm jedoch nicht erinnerlich. Durch Nachfragen kamen Teile seiner Erinnerung zurück: Nach Hausdurchsuchungen bei Szczepanski, bei denen Bestandteile für den Bau von Bomben gefunden wurden, wurde dieser gesucht. Schulz hatte Berichte und einen entscheidenden Hinweis über den Aufenthaltsort Szczepanskis an die Generalbundesanwaltschaft, die gegen den KKK wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelte, gegeben.
Szczepanski, der unauffällige Häftling
Ebenfalls schwache Erinnerungen an Kontakte mit Szczepanski hatte Frank Henkel, ehemals Leiter der Untersuchungshaftanstalt Königs Wusterhausen. Mit 200 Häftlingen im Jahr, einer Kapazität von 40 Personen und einer durchschnittlichen Verweildauer von drei bis vier Monaten, sei Szczepanski ihm während dessen neunmonatiger Haft ab Mai 1994 nicht im Gedächtnis geblieben. Dass Szczepanski ein Häftling war, der permanent Beschwerden und Anträge einreichte, auffällig viel Post verschickte und bekam, habe daran nichts geändert. Mehrfach betonte Henkel: „Nichts ging über meinen Tisch, alles wurde von der Staatsanwaltschaft und dem Gericht entschieden“. Dementsprechend will Henkel auch nicht mitbekommen haben, wie der Verfassungsschutz ab September 1994 wöchentlich vorbeischaute, um Gespräche mit Szczepanski zu führen – nachdem dieser sich aus der U-Haft heraus als Informant angeboten hatte.
Szczepanski, der gesprächige Anstifter
Deutlich detaillierter erinnerte sich Oberstaatsanwältin Petra Marx, die wegen des versuchten Mords in Wendisch-Rietz 1992 und dem Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Dolgenbrodt ebenfalls 1992 für die Staatsanwaltschaft in die Strafverfahren involviert war. Auf ihre Initiative hin wurde Szczepanski als Anstifter für den Mordversuch angeklagt, da Marx seine herausragende Rolle in der Neonaziszene und seinen rassistischen Hintergrund erkannt habe. Szczepanskis Aktivitäten für den Ku-Klux-Klan waren ihr allerdings erst 1994 bekannt geworden, vorher „hatten wir ihn nicht auf dem Schirm, weil die Akten keine Hinweise hergaben“. Erst dann sei deutlich geworden, dass Szczepanski „der geistige Kopf“ hinter dem rassistischen Mordversuch gewesen sein musste. In ihren Augen ist klar: „Hätte man die Informationen von BKA und Brandenburger Staatsschutz und Staatsanwaltschaft früher zusammen gebracht, wäre er früher in Haft genommen worden“. Während des Verfahrens wurde sie von ihrem Vorgesetzten, dem Leitenden Oberstaatsanwalt Lehmann (LOStA) in Kenntnis gesetzt, dass Szczepanski vom Verfassungsschutz angeworben wurde beziehungsweise sich dafür angeboten habe. LOStA Lehmann habe ihr gegenüber jedoch deutlich gemacht, dass dies keinen Einfluss auf das Verfahren habe: „Sie ermitteln und machen keine Zugeständnisse!“ Relevant wurde Szczepanski des Weiteren für das Verfahren im so genannten Dolgenbrodt-Prozess, bei dem der Neonazi Silvio Janckowski, ein Bekannter Szczepanskis, eine Asylunterkunft in Brand steckte – Dorfbewohner hatten vorher Geld gesammelt, um den Brandstifter zu belohnen. Szczepanski sollte im Prozess aussagen. Besondere Brisanz: Der Verfassungsschutz wollte verhindern, dass sein neugeworbener V-Mann aussagt, aus Angst vor einer möglichen Enttarnung. Szczepanski sagte schließlich aus ohne enttarnt zu werden. Die zentrale Frage, inwiefern der Verfassungsschutz für seinen Schützling Szczepanski Einfluss auf die Justiz ausübte, wurde von Marx immer wieder ausweichend beantwortet. Auch die Vorhalte der Obleute, wonach es Berichte über Zugeständnisse wie Hafterleichterung gegen haben soll, wehrte sie ab. Absprachen mit dem Verfassungsschutz oblagen dem LOStA, darauf hätte sie selbst keinen Einfluss gehabt.
Pressekonferenz und Fazit
Zwischen den Vernehmungen lud der Untersuchungsausschuss zu einer Pressekonferenz ein und bilanzierte nach eineinhalb Jahren die Arbeit des Ausschusses. Nach Ansicht des Ausschussvorsitzenden Rupprecht und der Abgeordneten sei der Ausschuss zwar langsam vorangekommen, da die Geheimhaltung der Akten die Arbeit verzögerte. Insgesamt könne man zufrieden sein. Woher die Zufriedenheit kommt, ist aus Beobachter*innenperspektive schwer nachzuvollziehen: Nach 1 ½ Jahren dringt der Ausschuss erst langsam zum Kern seines Auftrages vor. Auch die Dezember-Sitzung hat nur bedingt dazu beigetragen, dem Komplex weiter auf den Grund zu gehen. Personen in verantwortlichen Positionen in der Justiz und insbesondere im Verfassungsschutz müssen gehört werden. Sonst wiederholt sich das inzwischen bekannte Szenario immer wieder: die Zuständigkeiten werden anderen untergeschoben, um sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen.