Zusammenfassung – 7. Sitzung – 24.02.2017

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Was hat der NSU-Prozess in München mit dem Land Brandenburg zu tun? Wie haben sich brandenburgische Behördenvertreter und Ex-V-Mann Carsten Szczepanski vor dem Oberlandesgericht verhalten? Diesen Fragen widmete sich die Ausschusssitzung am 24. Februar. Geladen waren drei Sachverständige: Die Berliner Rechtsanwältin und Nebenklagevertreterin Antonia von der Behrens und die beiden Prozessbeobachter Robert Andreasch und Fritz Burschel. Neue und für den Ausschuss hochrelevante Zusammenhänge wurden angesprochen, unter anderem zur Anwerbung Carsten Szczepanskis, zum Werdegang von V-Mann-Führer Gordian Meyer-Plath, zum V-Mann-Führer Rainer Görlitz, zum „National Politischen Forum“ und zum Neonazi Maik Eminger.

Ankündigung | Protokoll

Vorbemerkung

Die Sitzung beginnt nach einem nicht-öffentlichen Teil mit der Schilderung der Rechtsanwältin Antonia von der Behrens, dass ihre MandantInnen – die Hinterbliebenen des NSU-Mordopfers Mehmet Kubaşık – den Ausschuss begrüßen würden. Die Erwartung sei, dass die Taten aufgeklärt und dabei nicht nachgiebig mit den Nachrichtendiensten umgegangen werde. Dies sei eine schwierige Aufgabe: Die Dienste würden auch im Münchener Prozess nichts beitragen wollen und würden Informationen nicht weitergeben.

Die Sitzung beginnt nach einem nicht-öffentlichen Teil mit der Schilderung der Rechtsanwältin Antonia von der Behrens, dass ihre MandantInnen – die Hinterbliebenen des NSU-Mordopfers Mehmet Kubaşık – den Ausschuss begrüßen würden. Die Erwartung sei, dass die Taten aufgeklärt und dabei nicht nachgiebig mit den Nachrichtendiensten umgegangen werde. Dies sei eine schwierige Aufgabe: Die Dienste würden auch im Münchener Prozess nichts beitragen wollen und würden Informationen nicht weitergeben.

Beitrag Robert Andreasch

Als erstes wird der bayerische Journalist, der sich auch für die Initiative NSU Watch engagiert, gehört. Andreasch beobachtet seit Beginn den gesamten Verlauf des Verfahrens in München. Er beschreibt den Auftritt von V-Mann Carsten Szczepanski als Zeugen – dieser habe dort geschildert, dass er bereits „1991 rum“ als V-Mann angeworben worden sei. (ausführlich) Der Verfassungsschutz Brandenburg hingegen beharre darauf, ihn erst 1994 aus der U-Haft heraus rekrutiert zu haben. Eine frühere Anwerbung – durch den Brandenburger Dienst oder eine andere Behörde – würde erklären, warum er trotz schwerer Straftaten kaum belangt wurde, als ob „eine schützende Hand über ihm schweben würde“. Bezogen auf Allgemeinplätze, etwa zur Bedeutung von Waffen und die Diskussion terroristischer Konzepte habe er sich vor Gericht erinnern können, ging es um Details wie Namen von Beteiligten dominierten vermeintliche Gedächtnislücken. Honorare will Szczepanski für seine Spitzeldienste nicht erhalten haben. V-Mann-Führer Gordian Meyer-Plath (ausführlich) – heute Chef des Verfassungsschutz Sachsen – hingegen konnte sich sehr wohl an Honorare für den V-Mann erinnern – insgesamt rund 80.000 D-Mark. Der bizarre Auftritt von V-Mann Rainer Görlitz sei „noch schlimmer“ gewesen und gehöre „zum skandalösesten“, was im gesamten Prozess überhaupt zu sehen gewesen sei (ausführlich). Offensichtliche Falschaussagen reihten sich an offenkundig vorgetäuschte Erinnerungslücken. Seine Aussage war zuvor in Absprache mit dem Verfassungsschutz einstudiert und ein vom Amt bezahlter Zeugenbeistand zu Werk, der Einfluss auf die Aussage nahm. Es scheine so, als habe Görlitz den aus Berlin stammenden V-Mann Szczepanski „bereits aus Berlin“ gekannt, was eine Tätigkeit beim Berliner Verfassungsschutz vor seiner Arbeit für das Brandenburger Amt vermuten ließe.

Beitrag Fritz Burschel

Der Journalist Fritz Burschel, angestellt bei der Rosa Luxemburg Stiftung, beobachtet den Prozess in München unter anderem für das Radio Lotte Weimar und die Initiative NSU Watch. Burschel vertritt die Auffassung, dass die Verfassungsschutzbehörden mindestens dringend überarbeitet, eher aber abgeschafft gehören. Er schildert das „Entsetzen“, dass er und andere bei den Aussagen von BehördenmitarbeiterInnen – nicht nur, aber vor allem auch jenen aus Brandenburg – empfunden habe. Hervorzuheben sei Gordian Meyer-Plath, dessen Auftritte „aseptisch“ gewirkt hätten. „In ausgesprochen angenehmer Atmosphäre“ habe Meyer-Plath auch nichtdienstliche Themen mit seinem gewalttätigen V-Mann besprochen und für diesen auch Fahrdienste übernommen. Dies zeige eine „kumpelhafte Nähe“ zwischen dem Beamten und dem Neonazi. Der Auftritt von Rainer Görlitz hingegen sei „hochnotpeinlich“ gewesen – es sei „haarsträubend“, dass durch den Verfassungsschutz nicht nur gewalttätige Neonazis geführt würden, sondern auch zugleich Politische Bildungsarbeit getätigt werde. Eine wichtige, in Brandenburg zu klärende Frage sei der Umstand, inwiefern Carsten Szczepanski als Spitzel vom Dienst „hochgespielt“ worden sein könnte, dass er gezielt die Brandenburger Szene aufbauen sollte: „War er ein Agent Provocateur?“ Immerhin wisse man, dass der V-Mann Tino Brandt den „Thüringer Heimatschutz“ (THS) aufgebaut hatte: „Ohne Verfassungsschutz kein THS, ohne THS kein NSU“.

Beitrag Antonia von der Behrens

Als Drittes folgt der Vortrag der Berliner Anwältin, die äußerst umfangreich und mit einem beeindruckenden Detailwissen über die Erkenntnisse der Nebenklage in Bezug auf Brandenburg berichtet. Von der Behrens schildert, dass sie nicht alle Akten kenne, sondern nur jene, die direkt in das Münchener Verfahren Eingang gefunden haben. Akten aus anderen Verfahren seien dort nur bruchstückhaft eingeflossen. Insgesamt gäbe es derzeit zehn weitere Verfahren mit NSU-Bezug – neun gegen konkrete Beschuldigte und ein Strukturverfahren, das gegen unbekannt geführt werde. Vorhanden seien lediglich zwei Vernehmungsprotokolle von Carsten Szczepanski, eines von der Vernehmung des Brandenburger Neonazis Henning K. (heute: Henning P.) aus dem Verfahren gegen Jan Werner, zwei Protokolle von Vernehmungen des Potsdamer Neonazis Uwe Menzel, zudem habe es eine Vernehmung von Neonazi-V-Mann Toni Stadler gegeben. Der Brandenburger Neonazi Maik Eminger habe die Aussage verweigert. Von der Behrens weist außerdem auf die Akten hin, die Rainer Görlitz bei seiner Aussage mit sich führte. Nach Interventionen im Gerichtssaal wurden diese sichergestellt und das Land Brandenburg bemühte sich letztlich erfolglos, die Verwertung dieser Akten zu verhindern.
Ausführlich geht von der Behrens auf die V-Mann-Historie von Carsten Szczepanski, als einen der zentralen Komplexe des Brandenburger Untersuchungsausschusses, ein. Sie vertritt die These, dass er vermutlich nicht, wie er selbst aussagte, bereits 1991 angeworben wurde, allerdings auch nicht erst 1994, wie vom Brandenburger Verfassungsschutz behauptet wird. Sie hält eine Anwerbung etwa im Februar 1992 für plausibel. Damals liefen diverse, auch schwerwiegende Ermittlungsverfahren gegen den Neonazi, unter anderem wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung. In einer über drei Tage dauernden Vernehmung durch das Bundeskriminalamt habe Szczepanski „wie ein Wasserfall“ geredet. Es dränge sich der Verdacht auf, dass er in diesem Zusammenhang angeworben wurde. Sein Terrorismusverfahren wurde eingestellt, er konnte sich an einer Brandstiftung beteiligen – immer „plätscherten“ die Verfahren ohne Konsequenzen für den militanten Neonazi vor sich hin. 1994 wurde Szczepanski wegen des fast tödlichen Angriffs in Wendisch Rietz dank des Beharrens eines Nebenklageanwalts festgenommen – erst in der U-Haft in dieser Sache soll laut „offizieller“ Version aus Brandenburg die Anwerbung begonnen haben.

Zu den Aussagen von Rainer Görlitz berichtet von der Behrens, dass dieser angab, ihm seien Akten anonym in seinen dienstlichen Posteingang zugespielt worden. Daraus, so Görlitz, hätten sich die Dokumente zumindest teilweise zusammengesetzt, die vor Gericht bei ihm festgestellt wurden. Von der Behrens erklärt: Wenn dies stimme, sei anzunehmen, dass aus dem Amt auf seine Aussage Einfluss genommen werden sollte. Wahrscheinlicher sei es aber, dass dies eine Schutzbehauptung sei, weil Görlitz die Herkunft seines Wissens verschweigen wolle. Zur „Was ist mit den Bums“-SMS von Jan Werner an Szczepanski wollte Görlitz nichts gewusst haben, erklärte er 2015. Das stimme offenkundig nicht, denn er wurde bereits 2013 im Bundestagsuntersuchungsausschuss zu genau diesem Sachverhalt befragt. Damit konfrontiert gab Görlitz an, dass er doch von der SMS gehört habe – und zwar habe er dies zufällig bei seiner Referatsleiterin „zwischen Tür und Angel“ gehört. (Die Referatsleiterin Frau Dr. Wagner – offenbar eine mögliche Zeugin für den Brandenburger Untersuchungsausschuss – ist während dieser Ausführungen von von der Behrens anwesend.)
Auch zur Vernehmung von Gordian Meyer-Plath macht von der Behrens Ausführungen. Sie merkt an, dass dieser in München behauptete, nur als Urlaubsvertretung für Görlitz als V-Mann-Führer für Szczepanski tätig gewesen zu sein. Der ehemalige Brandenburger Verfassungsschutzchef Förster habe im Bundestags-Untersuchungsausschuss jedoch ausgesagt, dass Szczepanski von zwei V-Mann-Führern geführt wurde (Protokoll) Sie weist darauf hin, dass Meyer-Plath zum 1. November 1998 vorläufig aus dem Amt ausgeschieden sei, um als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der CDU-Bundestagsabgeordneten Katherina Reiche zu arbeiten – eigentlich eine unattraktive Stelle für jemanden mit seiner Qualifikation. Noch ungewöhnlicher sei, dass er sodann, im April 2011, wieder beim Verfassungsschutz Brandenburg zu arbeiten begann, und zwar gleich herausgehoben als Referatsleiter. Spekulativ, aber plausibel sei die Vermutung, dass sich Meyer-Plath in dieser Auszeit in Wirklichkeit für die Referatsleitung weiterqualifiziert habe. In zeitlichem Zusammenhang mit Meyer-Plaths vorläufigem Ausscheiden endeten auffälligerweise die relevanten Deckblattmeldungen von Szczepanski und auch das „United Skins“ wurde eingestellt. Ob diese „zeitlichen Koinzidenzen“ mehr als Zufall seien, sei eine Spekulation, stellt von der Behrens heraus, die allerdings überprüfenswert wäre.

Bezogen auf die Deckblattmeldungen von Szczepanski gäbe es ebenfalls Auffälligkeiten. Nachdem er über den Aufenthaltsort des untergetauchten späteren NSU-Kerntrio berichtet und daraufhin im September 1998 in Potsdam ein Treffen von MitarbeiterInnen des brandenburgischen, thüringischen und sächsischen sowie von Bundes-Verfassungsschutz stattfindet, hören die Meldungen zum Trio auf. Ein solches „Versanden“ sei untypisch für Behörden, zumal diese das Thema offenkundig für wichtig hielten. Wahrscheinlich sei, dass es noch weitere Geschehnisse gab, die bisher aber nicht bekannt seien. Besonders herausstellte sie, dass nicht nur der Brandenburger Verfassungsschutz, sondern auch das Bundesamt über alle relevanten Informationen verfügte und deshalb ebenfalls in der Lage gewesen wäre, eine effektive Fahndung durch die Polizei zu ermöglichen.

Von der Behrens spricht zudem ein Treffen am 28. Januar 2013 an, das in den bei Görlitz festgestellten Akten erwähnt sei. Daran nahmen hochrangige VertreterInnen der Generalbundesanwaltschaft, vom Bundesamt für Verfassungsschutz, vom Bundeskriminalamt und als Vertreterin des Brandenburger Amtes Frau Dr. Wagner teil. Thema sei die Vernehmung von Szczepanski vor Gericht und sein Handy gewesen. Was genau besprochen wurde, warum das Treffen einberufen wurde und warum Görlitz, immerhin V-Mann-Führer und damit auch Handyverantwortlicher, nicht teilnahm – das alles müsse aufgeklärt werden.

Für Brandenburg relevante Lücken aus dem Ermittlungen rund um den Münchener Prozess existieren, so von der Behrens, insbesondere auch in Bezug auf das Handeln des V-Manns Toni Stadler und auf das zeitweise in Birkenwerder ansässige Deutsche Rechtsbüro. Der Anteil, den der Brandenburger Verfassungsschutz an der Produktion des Heftes „United Skins“ hatte, bedürfe laut von der Behrens weitere Aufklärung. In den Akten zum Münchner Prozess sei zudem Norbert P. auffällig gewesen. Der Neonazi war in Brandenburg in Haft – zeitweise vermutlich in der gleichen Haftanstalt wie Szczepanski. P. wollte mit Szczepanski einen Verein gründen, mit dem unter anderem aus der Haft heraus ein Netzwerk für inhaftierte Neonazis betrieben werden sollte. Auch mit dem späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos führte P. aus diesem Anlass Briefkontakt. Das „National Politische Forum“, so der Arbeitstitel für den Verein, wurde nicht offiziell gegründet, gab aber mindestens ein Flugblatt heraus, in dem als Kontaktadressen Norbert P. sowie ein Udo Müller angegeben waren. Bei Udo Müller handelt es sich wahrscheinlich um ein Pseudonym von Uwe Mundlos (vergleiche einen Artikel von 1999 ).
Schließlich erwähnt von der Behrens den Potsdamer Neonazi Uwe Menzel, der Verbindungen zum NSU-Umfeld hielt. Im Fanzine „The Aryan Law and Order“ der Kameradschaft Erzgebirge wurde Menzel im Jahr 2000 interviewt. Er sprach sich gegen „sinnlose Gewalt“ aus, befürwortete stattdessen „gezielte Schläge gegen den Feind“, lobte die Terroraktionen von „The Order“ in den USA. Der radikale Ton passte auffällig zur Ideologie des NSU. Das Fanzine wurde von den Zwillingen Maik und André Eminger mitgestaltet. Von der Behrens hält es für bemerkenswert, dass Maik Eminger, der zu den Führungskadern der Brandenburger Neonaziszene zählt, in den Ermittlungen des Bundeskriminalamtes kaum eine Rolle gespielt zu haben scheint. Immerhin gehörte er zum gleichen Milieu wie sein in München angeklagter Bruder, teilte die Ideologie, kannte alle relevanten AkteurInnen aus dem NSU-Umfeld. Andere Ermittlungsverfahren gegen ihn hätten nach ihrer Kenntnis kaum Ergebnisse gezeitigt. Von der Behrens rät zu untersuchen, was bei den Nachrichtendiensten über Maik Eminger bekannt sei und ob es beispielsweise Anwerbeversuche gegeben habe.

Nach einer Fragerunde der Abgeordneten wird die Sitzung beendet.
Die nächste Sitzung des Ausschusses findet am 24. März 2017 statt.

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