Die 11. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses (PUA) am 07.07.2017 beschäftigte sich weiter mit den Komplex der „Nationalen Bewegung“ (NaBe), die zwischen dem 01.02.2000 und 01.02.2001 eine Serie von Propagandadelikten und Anschlägen in Potsdam und Umland verübte. Der Höhepunkt der Serie war der Anschlag auf die jüdische Trauerhalle in Potsdam. Bis heute gelten die Taten der NaBe als ungeklärt.
Dieses Mal stand erstmals explizit die dabei nebulöse Rolle des Brandenburger Landesamtes für Verfassungsschutz (VS) auf der Tagesordnung. Als Zeugen sollten der ehemalige V-Mann Christian Kö., sein V-Mann-Führer „M. Sandmann“, der damalige Leiter des VS-Landesamtes Heiner Wegesin und der VS-ler „Giebler“, der zu der Zeit der NaBe tätig war, vernommen werden. Doch die Sitzung nahm einen unerwarteten Verlauf. In einer nicht-öffentlichen und geheimen Befragung wurden nur die ersten beiden Zeugen gehört. Anstatt öffentlicher Aufklärung gestand der Ausschuss-Vorsitzende Holger Rupprecht auf einer außerordentlichen Pressekonferenz am Freitagnachmittag ein, dass sogar die gesamte Sitzung auf dem Spiel gestanden habe.
Zeugenbefragung: Geheim und Verzögerung im Betriebsverlauf
Angekündigt war, dass zunächst der ehemalige V-Mann Christian Kö. und sein V-Mann-Führer M. „Sandmann“ im Geheimschutzraum in geheimer Sitzung, und damit eingeschränktem Teilnehmerkreis, vernommen werden sollten, um nach der Mittagspause die Zeugen Wegesin und „Giebler“ öffentlich zu befragen. Doch noch am Freitagmorgen war unsicher, ob es überhaupt dazu kommen würde. Am Donnerstag hatte das Ausschusssekretariat mitgeteilt, dass die Vorladung von Christian Kö. nicht zugestellt worden war, obwohl seine Adresse durch die Polizei überprüft worden war. Die Abgeordneten sollen sich daher vor der Befragung von „Sandmann“ im Geheimschutzraum einstimmig dafür entschieden haben, die gesamte Sitzung auf einen unbestimmten Termin zu verschieben. Zeitgleich meldete sich aber Kö. mit der Bereitschaft auszusagen, erschien mit zeitlicher Verzögerung vor dem Ausschuss und umging so einer möglichen Zwangsvorführung.
Nach der Erfahrung der letzten Sitzung, in der fünf Zeugen insgesamt über elf Stunden lang befragt wurden, entschied sich der Ausschuss daraufhin, die Zeugenaussagen von Wegesin und „Giebler“ zu verschieben. Ihre Vernehmung soll in einer Sondersitzung im Herbst stattfinden. Auch soll künftig bei der Ladungen von Zeug*innen nicht mehr nur dem Postweg vertraut werden. Zeug*innen werden persönlichen Besuch von Sicherheitsbeamt*innen bekommen, um die Ladungen zu gewährleisten. Über den Inhalt der heutigen Sitzung verloren weder Rupprecht, noch die Ausschuss-Abgeordneten ein Wort – auch zu möglichen Themenkomplexen wurde trotz mehrfacher Nachfrage der Presse geschwiegen.
Akten-Probleme: Späte Lieferung und umfangreiche Schwärzungen
Doch nicht nur das Fernbleiben von Zeugen führte dazu, dass ein Jahr nach Einsetzung des PUA mehr Fragen als Antworten existieren. Zu kurzfristig zur Aufarbeitung für Befragungen – teilweise erst einen Tag vor der Sitzung – lagen den Abgeordneten wichtige Akten aus dem Ministerium des Innern und für Kommunales (MIK) vor. Zusätzlich zu den zwölf Verfassungsschutz-Bänden wurden in den letzten Tagen mehrere tausend Blätter nachgeliefert, die die Obleute und ihre Mitarbeiter*innen noch für die aktuelle Sitzung hätten einsehen sollten. Auch daher habe man sich entschieden, Wegesin und „Giebler“ erst zu einem späteren Termin zu laden. Die Fraktionen legten außerdem die Vermutung nahe, dass sich aus den Akten zur NaBe neue Zeug*innen ergeben. Und offen ist natürlich auch, ob Ministerium, LKA, VS und GBA inzwischen vollständig geliefert haben. Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit sind aber nur zwei Aspekte dieses Problems.
Nicht nur die Opposition aus CDU und Grünen kritisierten ausdrücklich, dass die über 3000 Blätter entgegen der Erwartungen erheblich geschwärzt waren. Eigentlich gebe es Absprachen mit dem Innenminister Karl-Heinz Schröter, sich an der Schwärzungspraxis für den Bundesuntersuchungsausschuss zu orientieren. Es habe sich aber gezeigt, so Rupprecht, dass man „eine andere Auffassung“, als das MIK habe. Es steht zu vermuten, dass sich nicht wenige Peinlichkeiten hinter den Schwärzungen verstecken, die die Abgeordneten eigentlich kennen müssen, um ihren Auftrag erfüllen zu können.
Ein Jahr PUA: Pleiten Pech und Pannen
Die knapp halbstündige Pressekonferenz, während der die Befragung des zweiten Zeugen im Keller unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiter lief, zeigte, dass der PUA nach seinem ersten Jahr noch nicht viel erreicht hat. Die Obleute wirken überfordert, verärgert und frustriert. Die einführenden Sitzungen vor den brandenburg-spezifischen Themen wie NaBe und Piatto haben viel Zeit gekostet. Das mag für fachfremde Politiker*innen notwendig gewesen sein. Zur Aufklärung haben bei weitem nicht alle dieser Veranstaltugen beigetragen. Daher rennt nun die Zeit davon. Das für die Sicherheitsbehörden zuständige MIK arbeitet natürlich mit klarer Aufgabe mit dem PUA zusammen: seine Mitarbeiter*innen schwärzen und verzögern die Ausgabe von Akten. Was das Parlament, und insbesondere auch die Öffentichkeit, erfahren darf, bestimmen die „Seilschaften“ in den Behörden und Ministerien. Zugleich wird an fragwürdigen Personalien, wie dem belasteten Ausschusskoordinator des Innenministeriums Bruno Küpper auch weiterhin fest gehalten – lediglich aus dem NaBe-Komplex wird er ausgeschlossen.
Inhaltlich gibt es nach der 11. Sitzung des PUA keine neuen Erkenntnisse für die Öffentlichkeit, die Licht ins Dunkel der Verwicklungen zwischen Neonazi-Szene und Verfassungsschutz der Jahrtausendwende bringen. Deutlich werde allerdings, so immerhin die Linke, dass sich neue Fragen nach NSU und organisierten rechten Strukturen wie Blood & Honour zwischen Brandenburg und Sachsen ergeben. Um aber dieses Dickicht zu lichten, wird viel Aufwand und Zeit von Nöten sein. Eine notwendige Fortsetzung des PUA in der nächsten Legislaturperiode ist wahrscheinlich. Der Sozialdemokrat Holger Rupprecht gestand gemeinsam mit Linken und Grünen ein, man werde sich mit der Ausschuss-Arbeit vielleicht „überheben“. Und schon bevor nach mehr als einem Jahr der Ausschuss endlich Erkenntnisse beisteuern könnte, zeigt diese Reaktion auch, dass die Abgeordneten deutlich mehr Courage und Rückrat beweisen müssen, wenn sie das Parlament insgesamt und sich selbst nicht lächerlich machen wollen!