Was jetzt getan werden muss – eine Bestandsaufnahme nach der 1. öffentlichen Ausschusssitzung

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Der Brandenburger Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex kommt ins Arbeiten. Bisher ist jedoch nicht ersichtlich, dass er sich in der Beweisaufnahme den im Bundesland entscheidenden Neonazis und Strukturen annimmt. Schon der Einsetzungsbeschluss lässt befürchten, dass wichtige Strukturen und Protagonist_innen ausgelassen oder nur gestreift werden. Eine Bestandsaufnahme.

Der Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss soll bekanntlich die Rolle Brandenburger Behörden im NSU-Komplex, mögliche Verstrickungen des NSU nach Brandenburg und zudem den militanten Neonazismus im Bundesland aufklären. Wird das funktionieren?

Im Einsetzungsbeschluss des Landtages für den Untersuchungsausschuss, datiert vom April 2016, sind Organisationen gelistet, die für die Erfüllung des Ausschussauftrages von besonderem Interesse seien:

Hammerskins, Blood & Honour, Thüringer Heimatschutz, Nationalistische Front, Ku-Klux Klan, Nationale Bewegung Königs Wusterhausen, Vandalen, Artgemeinschaft, HDJ, Bewegung Neue Ordnung / Schutzbund Deutschland, Die Nationalen e.V., Berlin-Brandenburger Zeitung, Märkischer Heimatschutz sowie internationale Kontakte, z.B. nach Südafrika.

Im Untersuchungsauftrag werden daneben die Publikationen Nationaler Beobachter, der Weiße Wolf, United Skins und die terroristische Gruppe Nationale Bewegung erwähnt; an Personen werden neben dem NSU-Kerntrio genannt Carsten Szczepanski, Maik Eminger, Uwe Menzel, Toni Stadler und Martin Wiese.

Fast alle der gelisteten Organisationen und Personen dürften tatsächlich von Interesse sein. Eine Ausnahme ist die Nationale Bewegung Königs Wusterhausen – diese Organisation hat es schlichtweg niemals gegeben. Es ist verblüffend, dass der Ausschuss dies bisher nicht korrigiert hat.

Für die erhoffte Aufklärungsarbeit müssen jedoch vor allem dringend weitere Personen und Organisationen Eingang in die Utersuchungen finden – in Form von Beweisanträgen, Befragungen, Aktenanforderungen.

Nur einige Beispiele und Hinweise:

  • Im Ausschussauftrag fehlen ganz offensichtlich die Nationalrevolutionären Zellen (NRZ): eine Gruppierung, die explizit militante und strafbareAktionen durchzuführen beabsichtigte.
  • Es fehlt die insbesondere Anfang der 1990er Jahre in Südbrandenburg operierende Deutsche Alternative sowie fast das gesamte Kameradschaftsspektrum aus der betreffenden Zeit.
  • Es fehlt die militant agierende Anti-Antifa Potsdam, bei der Überschneidungen zur Nationalen Bewegung sowie in die organisierte RechtsRock-Szene beleuchtet werden müssten. Die Nationale Bewegung, eine für zahlreiche Anschläge verantwortliche Gruppe, muss im Ausschuss breiter thematisiert werden, als es der Einsetzungsbeschluss hoffen lässt. In diesem wird nur nach einer möglichen direkten Verbindung zum NSU gefragt. Die Mitglieder der Nationalen Bewegung wurden nie gefasst – unter anderem aufgrund einer durch den Brandenburger V-Mann Christian Kö. verratene Polizeirazzia.
  • Es fehlt das terroristische Freikorps Havelland, der für ein vollständiges historisches Lagebild zum Rechtsterrorismus in Brandenburg beachtet gehört.
  • Bei der Zeitschrift Weißer Wolf darf nicht nur interessieren, ob dort Hinweise auf den NSU und dessen Umfeld zu finden waren, wie im Einsetzungsbeschluss formuliert ist – dies ist ganz offensichtlich der Fall. Darüberhinaus müssen die mit der Produktion befassten Neonazis und deren Umfelder selbst untersucht werden, da hier massive Überschneidungen mit militanten Strukturen vorliegen, die mitunter sehr nahe an das NSU-Umfeld heranreichen.
  • Dies gilt ebenso für das Heft United Skins. Die in Brandenburg teils aus Haftanstalten heraus und unter Beteiligung von V-Leuten, z.B. Carsten Szczepanski, produzierten BlätterWeißer Wolf und United Skins müssen als das erkannt und ernstgenommen werden, für das sie standen – als Sprachrohre des rechtsterroristischen Combat 18.

Auch etliche Personen, die für den Ausschuss von besonderem Interesse sein müssten, sind im Einsetzungsbeschluss nicht zu finden.

  • Es fehlt der Neonazi und V-Mann Christian Kö., der nach eigenen Aussagen die Razzia gegen die Nationale Bewegung im Auftrag des Brandenburger Verfassungsschutzes verriet.
  • Es fehlt Christian W., Brandenburger Musiker bei der Blood & Honour-Band Landser, der beim Prozess gegen die Band Aussagen tätigte.
  • Bei Uwe Menzel darf nicht nur – wie im Untersuchungsauftrag unscharf formuliert – interessieren, ob über ihn Erkenntnisse hinsichtlich des NSU und dessen Umfeld vorlagen. Schon seine direkte Beteiligung an Waffengeschäften mit V-Mann Carsten Szczepanski und etliche weitere Auffälligkeiten, wie seine freundschaftlichen Verbindungen zu Carsten Szczepanski und Geschäftsbeziehungen zu Jan Werner müssen Menzel selbst stärker in den Fokus rücken lassen.
  • Es fehlt Sven Sch., Bundes-Kassenwart von Blood & Honour aus Borkwalde, von anderen Neonazis ab 2002 verdächtigt, ein Spitzel des Landeskriminalamtes zu sein.
  • Es fehlt Bendix W., in Brandenburg lebender Neonazi, der in zahlreiche Gewalttaten und Waffendeals verstrickt war.
  • Es fehlt Frank Schwerdt, jetziger NPDler, der in den 1990er Jahren nicht nur mit dem Thüringer Heimatschutz verbunden war, sondern auch in Brandenburg aktiv war, etwa über Die Nationalen e.V. Aus sachlichen Gründen muss Schwerdt von Interesse für den Ausschuss sein und auch, um nicht den Eindruck zu vermitteln, dass er aus falscher Rücksicht auf Ausschussmitglieder nicht thematisiert wird. Das Ausschussmitglied Andreas Galau von der AfD ist nämlich ein ehemaliger Parteigänger Schwerdts. Um 1989 und 1990 gehörten beide der gleichen Partei, den rechtsradikalen Republikanern, an und könnten sich also persönlich kennen oder zumindest gemeinsame politische Bekanntschaften haben.
  • Es fehlt weiterhin Norbert P., der aus der Brandenburger Haft heraus ein National Politisches Forum mitaufbauen wollte – ein Vorhaben, an dem auch der spätere NSU-Terrorist Uwe Mundlos beteiligt war.
  • Es fehlt das Ehepaar Maik und Sylvia F., die sowohl am Fanzine Der Weiße Wolf arbeiten, aber auch im Rahmen der HNG und des National Politischen Forums von sich reden machten.
  • Es fehlt offenbar selbst Nick Greger, der einbezogen in die Terrorplanungen von V-Mann Carsten Szczepanski war und selbst als Spitzel arbeitete, und zwar für die Berliner Polizei.

Diese Liste ließe sich selbstverständlich fortsetzen. Ein sorgfältiger Blick in antifaschistische Veröffentlichungen zum Neonazismus in Brandenburg genügt dafür. Wir wissen nicht, ob der Ausschuss diese Lücken aus dem Einsetzungsbeschluss inzwischen korrigiert hat. Bisher ist nicht ersichtlich, dass der Untersuchungsausschuss die ersuchte inhaltliche Aufarbeitung präzisiert hat. Es ist davon auszugehen, dass auch in den bisher gestellten Beweisanträgen eine Konkretisierung ausblieb.

Um sich auf eine ernstzunehmende Beweisaufnahme vorzubereiten – und auch, um einen sehr wahrscheinlich auskunftsunwilligen Verfassungsschutz und andere Sicherheitsbehörden zu detaillierten Auskünften zu bringen – ist jedoch genau diese Konkretisierung des selbst gestellten Ermittlungsauftrages dringend nötig.

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