„Wir werden weiter kämpfen“

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Dokumentation eines Redebeitrags von NSU Watch Brandenburg

Am 11. Juli 2018 wurde in Berlin – wie in vielen anderen Städten – anlässlich der Urteilsverkündung im Münchener NSU-Verfahren demonstriert: „Kein Schlussstrich“ unter die Aufklärung des NSU, den gesellschaftlichen Rassismus und die Täter*innen dürfe gezogen werden. Von NSU Watch Brandenburg wurde eine Rede zum Stand der NSU-Aufklärung in Brandenburg beigetragen, die wir hier dokumentieren. 

Der Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag wurde erst 2016 eingesetzt. Viel zu lange hat es gedauert, bis es dazu kam und er musste sogar gegen den Widerstand von Teilen der mitregierenden Partei Die Linke eingesetzt werden. In Brandenburg wurden zwar nach unserem heutigen Wissen keine Morde des NSU-Kerntrios verübt, Banken ausgeraubt oder andere Verbrechen begangen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte das Land aber die Morde des NSU verhindern können.

Der Untersuchungsausschuss ist eine Farce der parlamentarischen Aufklärung in diesem rot-rot regierten Bundesland. Schreddern, Schwärzen und die verzögerte Herausgabe von Akten sind die Devisen der zuständigen Ministerien für Inneres und Justiz. Auch nach zwei Jahren Laufzeit ist die ohnehin jämmerliche Glaubwürdigkeit der Brandenburger Behörden in Hinsicht auf die NSU-Verbrechen noch viel weiter zu Schaden gekommen. Das Land hatte nach der Selbstaufdeckung des NSU-Trios kein Löschmoratorium erlassen: Akten zum V-Mann Carsten Szczepanski sind vernichtet worden.

Zwar gab es inzwischen Akten, effektiv ist der Ausschuss aber immer noch nicht. Zeugenschutz steht vor Aufklärung, die geladenen Zeug*innen werden grundsätzlich abgekürzt angekündigt: K Punkt M Punkt S Punkt.

Eins ist inzwischen klar: Der Brandenburgische Verfassungsschutz hat ein Paradebeispiel geliefert in der Einflussnahme auf andere Behörden und die Politik im Land. Und wie in Thüringen baute der VS gezielt, bewusst und gewissenlos die Brandenburger Neonaziszene mit auf.

Nur ein Beispiel:

Sven Sch., ehemaliger Mitbewohner von dem Brandenburger V-Mann Christian Kö., war der Anführer der Brandenburger Sektion Blood and Honour. Auch Sch. spitzelte für den Staat. Das Landeskriminalamt traf sich regelmäßig mit ihm, die Potsdamer Polizei mindestens 16 mal. Der Neonazi wurde nicht etwa in die Mangel genommen, nein, er erhielt von der Polizei kostenlose Rechtsberatungen darin, wie er seinen Rechtsrock-Versand legal halten könne.

Der V-Mann Kö. steckte Sch. Anfang 2001, dass es eine Razzia geben würde. Zwischen dem 30. Januar 2000 und dem 30. Januar 2001, also genau in dieser Zeit, hatte die Gruppe Nationale Bewegung in und um Potsdam, also genau in dieser Region, rassistische und antisemitische Anschläge sowie Propagandaaktionen verübt. Die Razzia gegen 19 Neonazis aus Potsdam und Umgebung lief somit ins Leere. Die Taten der Nationalen Bewegung sind bis heute nicht aufgeklärt.

Der Verfassungsschutz war damals laut dem Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg Rautenberg gegen die Übernahme des Ermittlungsverfahrens gegen diese Naziterrorgruppe durch die Generalbundesanwaltschaft.

Zurück zum NSU-Komplex:

Für Carsten Szczepanski alias Piatto gab es viele Hafterleichterungen, um als V-Mann arbeiten zu können. Er wurde regelmäßig von seinen V-Mann-Führern mit einem Stapel Skinzines und Post versorgt. Der Verfassungsschutz kontrollierte dafür eigens ein Postfach, über das die Korrespondenz von Combat 18 zwischen Deutschland und dem Ausland lief.

Carsten Szczepanski hat inzwischen vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt.  Ob er für den NSU Waffen besorgte, wissen wir zwar nicht – aber der wegen Mordversuch verurteilte V-Mann empfang von Jan Werner am 25. August 1998 die mysteriöse SMS „Hallo, was ist mit den Bums“. Er will Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos zwar nicht persönlich begegnet sein. Wohl aber hatte er seinen V-Mann-Führern von den Absichten des Trios, sich nach Südafrika abzusetzen und dass sie auf der Suche nach Waffen sind, berichtet.

Die Verwicklung des Verfassungsschutzes in die Neonaziszene ist frappierend und beinahe jedes Detail, das antifaschistische Recherchezusammenhänge vermutet haben, bestätigt sich. Auch Gordian Meyer-Plath, ein ehemaliger V-Mann-Führer Szczepanskis, sagte vor dem Untersuchungsausschuss aus. Meyer-Plath ist ein Burschenschafter, der hochgelobt wurde und der heutige VS-Präsident in Sachsen ist. Er wurde mit VS-Unterlagen aus seiner Zeit konfrontiert. Darin erzählt Szczepanski davon, dass die Neonazis in Chemnitz den Verfassungschutz an der Nase herumführten und für ihre eigenen Zwecke aushorchten. Diese Berichte stammen aus der Zeit, in der Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Chemnitz untergetaucht waren. Sachsen hat diesen Zusammenhang bisher nicht aufgearbeitet. Klar ist inzwischen auch, dass noch mehr brandenburgische Neonazis nahe am Trio waren. Die Verbindungslinie Brandenburg-Chemnitz, die neben Carsten Szczepanski auch über den Rechtsrocker Uwe Menzel und andere lief, muss aufgedeckt werden.

Bisher lassen sich keinerlei sinnvolle Konsequenzen aus dem NSU-Komplex bei Behörden beobachten. Im Gegenteil: Festhalten am Spitzelsystem, sogar ausgebaute Kompetenzen und die Beförderungen der damaligen Akteur*innen prägen den Umgang der verantwortlichen Stellen.

Was wir außerdem lernen: Nicht nur die Ermittlungen gegen die Mörder*innen vor der Enttarnung des NSU-Kerntrios waren von Rassismus geprägt. Auch die Aufarbeitung ist unangemessen: In Brandenburg beschweren sich das Innenministerium und der Verfassungsschutz lautstark über die Arbeitsbelastung durch den Untersuchungsausschuss zum NSU. Und die Bagatellisierung der gewalttätigen rechten Szene geht weiter: Die rassistische Gruppierung  „Zukunft Heimat“ in Cottbus und die Verbindungen mit der sie aus dem Parlament protegierenden AfD werden vom Verfassungsschutz nicht beachtet, sondern als „asylkritische Bürgerinitiative“ verharmlost. Dabei – und das zeigen antifaschistische und journalistische Recherche zur Genüge – rührt sich in Cottbus eine Mischung aus den Totschlägern von einst und den Mördern von morgen zusammen.

Das alles zeigt: die deutschen Geheimdienste und Polizei, machen weiter wie bisher. Verdecken, Vertuschen, Verharmlosen; und der eigenen Logik zum eigenen Schutz folgen bis zum Ende. Gesellschaftlich relevante Mechanismen wie Rassismus werden ausgeblendet oder gar reproduziert. Eine Aufklärung im eigentlichen Sinne ist von diesen Stellen nicht zu erwarten.

Deswegen sind wir hier. Um klar zu machen, dass wir einen Schlussstrich unter die Aufklärung zum NSU und dem gesellschaftlichen Rassismus unter keinen Umständen ziehen oder akzeptieren werden. Aus Respekt und Verantwortung den Opfern gegenüber – in Solidarität mit den Hinterbliebenen und allen Betroffenen von Rassismus, Antisemitismus und neonazistischer Gewalt werden wir weiter kämpfen: Gegen Menschenfeinde und ihre Ideologie, egal wo und wie sie sich zeigt.

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