Dossier: Carsten Szczepanski

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Carsten Szczepanski, geboren 1970, ist seit früher Jugend Teil der neonazistischen Szene in Berlin und Brandenburg. Wegen versuchten Mordes saß er mehrere Jahre im Gefängnis. Szczepanski ist eine Schlüsselfigur im militanten Neonazismus der 1990er Jahre in Brandenburg und steht in engem Kontakt mit Personen, die Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ab deren Untertauchen 1998 unterstützen. Gleichzeitig ist er – spätestens ab 1994 und bis ins Jahr 2000 – als V-Mann Piatto gutbezahlter Spitzel des Brandenburger Verfassungschutzes.

Szczepanski, aus Berlin-Neukölln stammend, ist seit seiner frühen Jugend tief in der Neonaziszene verankert. Neben seiner Mitgliedschaft bei der 1992 verbotenen Nationalistischen Front (NF), ist er als Gefangenenbetreuer bei der neonazistischen Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG), später als „Bezirksführer“ des Internationalen Hilfskomitees für nationale politisch Verfolgte und deren Angehörige (IHV) und in Strukturen von Blood & Honour (B&H) und des Ku-Klux-Klan (KKK) aktiv. Nach einer Lehre bei der Deutschen Bundespost wird er wegen seiner neonazistischen Aktivitäten aus dem öffentlichen Dienst entlassen.

Als zentrale Figur der Berliner KKK-Gruppe White Storm hat er Anfang der 1990er Jahre gute Kontakte zu führenden Kreisen des US-amerikanischen und englischen KKK und organisiert im September 1991 im Beisein des US-amerikanischen KKK-Chefs Dennis Mahon eine Kreuzverbrennungszeremonie in der Nähe von Halbe. Gemeinsam mit dem späteren Mörder Norman Z. gibt er das rassistische und antisemitische KKK-Skinzine Das Feuerkreuz heraus und steht dadurch spätestens ab Herbst 1991 im Fokus der Berliner Kriminalpolizei. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung im Dezember 1991 findet die Polizei Utensilien zum Bau von Rohrbomben und rassistische Hetzschriften. Szczepanski taucht unter. Er gerät in das Visier der Generalbundesanwaltschaft wegen der Funde in seiner Wohnung und wegen des Skinzines Das Feuerkreuz.

Durch einen Hinweis des Brandenburger Verfassungsschutzes erfährt das Bundeskriminalamt (BKA) Szczepanskis Aufenthaltsort und auch, dass dieser durch den Verfassungsschutz observiert werde. Eine Quelle habe gemeldet, der Gesuchte sei bei dem Neonazi Eric O. in Königs Wusterhausen untergetaucht. In der Wohnung würden Waffen lagern und ein Raubüberfall sei geplant. Erst als es Hinweise auf eine Panzerfaust gibt, sagt der Verfassungsschutz die Kooperation mit der Polizei zu – nennt aber eine falsche Adresse. Bei der Durchsuchung werden schließlich zwei auf andere Namen ausgestellte Reisepässe und diverse Flugblätter gefunden. Außerdem werden Texte für Das Feuerkreuz gefunden, insbesondere ein Aufruf, sich auf den „totalen Untergrund“ und bewaffnete Auseinandersetzungen vorzubereiten. Szczepanski wird verhaftet und macht beim BKA umfassende Aussagen, die sich über drei Tage ziehen. Er wird trotz der schweren Anschuldigungen gegen ihn und trotz bestehender Verdunklungs- und Fluchtgefahr entlassen. Der Verdacht, dass Szczepanski bereits zu diesem Zeitpunkt Informant einer Bundesbehörde wird oder schon war, liegt nahe. Bei seiner Vernehmung im NSU-Prozess im Jahr 2014 gibt Szczepanski mehrfach an, bereits seit 1991 für ein Amt gearbeitet zu haben.

Ab 1992 gibt Szczepanski das aggressiv rassistische und antisemitische Fanzine United Skins heraus und gehört zur Kameradschaft United Skins Königs Wusterhausen – einer militanten Neonazigruppe, die bundesweit an Konzerten und Demonstrationen teilnimmt und in Königs Wusterhausen Angriffe auf Migrant*innen und alternative Jugendliche zu verantworten hat.

Im Mai 1992 wird im brandenburgischen Wendisch-Rietz der nigerianische Lehrer Steve Erenhi von mehreren Neonazis brutal angegriffen. Erst versuchen die Täter*innen, ihn anzuzünden, dann, ihn zu ertränken. Nur durch Glück kann Erenhi gerettet werden, er leidet bis heute unter den Folgen dieser Gewalt. Anführer der Gruppe ist Szczepanski. Zwar schlägt er selbst nicht zu, tritt aber als Rädelsführer und Einpeitscher in Erscheinung. Schlachtruf des Angriffs: „Ku Klux Klan!“ Im gleichen Jahr werden durch Stefan S. und Norman Z., die beide der KKK-Gruppe von Carsten Szczepanski angehörten, zwei Morde begangen. Norman Z. schlägt am 29. August 1992 in Berlin mit einem Baseballschläger den Kunstmaler Günter Schwannecke tot, der sich eingemischt hatte, als Z. und ein weiterer Neonazi auf Menschen mit migrantischen Hintergrund losgegangen waren. In Buxtehude bei Hamburg ermorden Stefan S. und ein weiterer Neonazi den Kapitän Gustav Schneeclaus, nachdem dieser Hitler als Verbrecher bezeichnet hatte. Dennoch weigert sich die Bundesanwaltschaft, den Angriff auf Erenhi in den KKK-Komplex einzuordnen. Das BKA stellt die Ermittlungen gegen den KKK ein, da sich der Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung nicht erhärtet hätte. Szczepanskis Verfahren wegen der Vorbereitung eines Sprengstoffsverbrechens, Volksverhetzung und wegen Urkundenvergehen werden an die Berliner Staatsanwaltschaft zurückgegeben und verlaufen im Sand.

Szczepanskis kriminelle Aktivitäten gehen weiter. Er verübt einen Brandanschlag auf einen Bus des Jugendverbandes Die Falken in Berlin. In Prieros bei Königs Wusterhausen organisiert er am 19. Juli 1993 eines der größten Blood & Honour-Konzerte in Brandenburg. Obwohl er angeblich wegen eines Kapitalverbreches gesucht wird, konnte er persönlich mit der Polizei verhandeln und ließ sie wissen, dass es sich lediglich um seine private Geburtstagsfeier handele. Das Konzert kann ungestört fortgesetzt werden. Dass Szczepanski solche Aktivitäten ohne größere Probleme entfalten kann, verstärkt den Verdacht, dass er bereits zu dieser Zeit von einer Sicherheitsbehörde angeworben worden war. Als im August 1993 ein Mann vor dem von Künstler*innen besetzten Haus Schloss Zeesen mit einer Kleinkaliberwaffe angeschossen wird, ist einer der ermittelten Täter ein zeitweiliger Mitbewohner Szczepanskis.

Auf Drängen des Nebenklageanwaltes des fast zu Tode geprügelten Lehrers Steven Erenhi wird Szczepanski im Mai 1994 – zwei Jahre nach der Tat – wegen des Verdachts der Beihilfe zum versuchten Mord in Untersuchungshaft genommen.

Nach offiziellen Angaben nimmt Szczepanski aus der Haft heraus Kontakt zum Brandenburger Verfassungsschutz auf und bietet sich als Mitarbeiter an. Trotz der zu erwartenden hohen Haftstrafe und der Aussicht, dass er im Gefängnis kein effektiver Zuträger sein könne, wird er bezahlter Mitarbeiter des Brandenburger Verfassungsschutzes unter dem Tarnnamen Piatto. Sechs Monate später wird er zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Im Gefängnis in Brandenburg an der Havel erhält Szczepanski auffällig schnell Hafterleichterungen und kommt im April 1998 in den offenen Vollzug. Unklar ist, ob er unüberwacht Besuche empfangen kann und inwiefern er weiterhin Einfluß auf die Radikalisierung der Neonaziszene nimmt. Aus dem Gefängnis heraus ist es Szczepanski jedenfalls möglich, an den Fanzines Der Weiße Wolf und United Skins mitzuarbeiten.

Als Freigänger und mit Unterstützung des Verfassungsschutzes beginnt er im Rahmen einer „Anpassungsqualifizierung“ ein Praktikum im neonazistischen Ladengeschäft des Ehepaares Probst im 250 Kilometer von Brandenburg an der Havel entfernten Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz. Vieles deutet darauf hin, dass der Verfassungsschutz Carsten Szczepanski dort platziert. Ein Praktikum in einem weit entfernten Ort ist für einen Gefängnisfreigänger unüblich und inpraktikabel. Das Geschäft der Probsts ist ein Knotenpunkt der Chemnitzer Blood & Honour-Szene, auch sind die Eheleute enge Vertraute von Thomas Starke und Jan Werner, zwei führenden Köpfen von Blood & Honour Sachsen, die zu diesem Zeitpunkt wichtige Unterstützungsarbeit für Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos leisten.

Laut des Brandenburger Verfassungsschutzes liefert Szczepanski zwischen August und Oktober 1998, also noch vor Beginn der NSU-Mordserie, Informationen zum untergetauchten NSU-Kerntrio. Er meldet, dass sich drei „sächsische Skinheads“ nach Südafrika absetzen wollen und Antje Probst der weiblichen Person ihren Pass überlassen wolle. Jan Werner habe persönlich Kontakt zu den dreien und versuche, ihnen Waffen zu beschaffen, damit sie noch „einen weiteren Überfall“ begehen können. Da bis heute nicht bekannt ist, dass das NSU-Kerntrio zu diesem Zeitpunkt schon einen Überfall begangen hat, fragt es sich, warum von „einem weiteren“ Überfall die Rede ist.

Das Geld für die Waffen habe, so die Meldung des Spitzels, Blood & Honour Sachsen zur Verfügung gestellt. Am 25. August 1998 schickt Jan Werner um 19:21 Uhr auf das Diensthandy von Szczepanski eine SMS mit der Nachricht „Hallo, was ist mit den Bums“. Dies legt nahe, dass Szczepanski selbst in Waffendeals verwickelt ist. Diese SMS soll, so der Verfassungsschutz, Szczepanski nie erreicht haben und sei auch vom Geheimdienst selbst nicht ausgewertet worden. Vor den Untersuchungsausschüssen sagt V-Mann-Führer Gordian Meyer-Plath später, dass Szczepanskis Mobiltelefon am selben Tag gegen 16 Uhr stillgelegt worden sei, nachdem der Bundesverfassungsschutz den Brandenburger Verfassungsschutz gewarnt habe, dass ein Handy des Brandenburger Innenministeriums im Rahmen einer Telefonüberwachung von Jan Werner vom LKA Thüringen identifiziert worden sei. Zur Ergreifung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wären diese Informationen zu diesem Zeitpunkt für die Polizei äußerst wichtig. Der Brandenburger Verfassungsschutz informiert zwar auch die Verfassungsschutzämter von Thüringen und Sachsen über die Nachricht, untersagt aber aus Gründen des „Quellenschutzes“ die Weitergabe der Meldung an die Polizei. Im September 1998 kommt es zu einem geheimen Treffen im Potsdamer Innenministerium, an dem auch Vertreter*innen der Verfassungsschutzbehörden aus Thüringen und Sachsen teilnehmen. Ob das Treffen mit der Waffenlieferung zu tun hat und was dort besprochen wird ist bis heute nicht bekannt. Szczepanski berichtet nie wieder über das NSU-Kerntrio.

Am 16. Oktober 1998 wird auf Grund einer Information Szczepanskis eine Lieferung von indizierten CDs der Neonaziband Landser beschlagnahmt. Da Szczepanski einer der wenigen ist, der über die Lieferung Bescheid wusste, gibt es Gerüchte in der Szene, dass er ein Spitzel sein könnte.

Im Dezember 1998 wird Szczepanski mit Unterstützung des Verfassungsschutzes vorzeitig aus der Haft entlassen. Dafür wird die zuständige Haftrichterin über die Sozialprognose des Häftlings getäuscht: diese sei günstig, da er sich aus der rechten Szene gelöst habe.

In Freiheit eröffnet der V-Mann einen Neonazi-Szeneladen in Königs Wusterhausen, steigt in den Landesvorstand der NPD auf, besucht Mitglieder der Anti-Antifa-Terrorgruppe Nationalsozialistische Front in Schweden, organisiert eine neonazistische Demonstration im Juni 2000 in Königs Wusterhausen und Neonazi-Konzerte in Mecklenburg-Vorpommern. Bei einer Durchsuchung seines Ladengeschäfts Anfang 2000 wird ein Repetiergewehr gefunden, das Szczepanski dort für den Sänger der Potsdamer Blood & Honour-Band Proissenheads, Uwe Menzel, deponiert hat. Parallel beteiligt sich der V-Mann am Aufbau rechtsterroristischer Strukturen und gehört zumindest zum Umfeld der Nationalrevolutionären Zellen, die Rohrbomben- und Brandanschläge auf politische Gegner*innen planen. Ungeklärt ist bisher, ob und inwieweit der V-Mann dabei als gezielt platzierter und behördengesteuerter Agent Provocateur agiert. Zumindest der Neonazi Nick Greger, der später selbst als Informant des LKA Berlin enttarnt wird, bezichtigt Szczepanski in einem folgenden Gerichtsverfahren, ihn angestiftet zu haben.

Anfang Juli 2000 wird Szczepanski durch einen Bericht im „Spiegel“ enttarnt. Laut Verfassungsschutz soll er bereits eine Woche zuvor als Quelle wegen seiner Beteiligung an den Nationalrevolutionäre Zellen abgeschaltet worden sein.

Szczepanski erhält nach seinem Auffliegen eine neue Identität und kommt in ein Zeugenschutzprogramm. Für seine Spitzeltätigkeit wurde er vom Brandenburger Verfassungsschutz mit insgesamt rund 50.000 D-Mark, Auslagenerstattungen und Fahrdiensten bezahlt. Auch ein Schmerzensgeld für Steve Erenhi in etwa der gleichen Höhe bezahlte das Land Brandenburg.

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